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Bombastische Hymnen im Reeperbahnkeller

KONZERT Die schottische Band Glasvegas beschränkt sich zum Hamburger Tourauftakt auf karge Kleinbühnenarrangements

Der Hamburger Rockschuppen-Kundschaft geht es ein bisschen zu andächtig zu

Bodenständiger Stadionrock ist eigentlich ein Oxymoron, aber im Fall der schottischen Band Glasvegas kann man doch mal darüber nachdenken, ob der Begriff Sinn ergibt. Zum einen angesichts des sozialen Realismus in ihren Texten, geerdet im Glasgower Unterschichtviertel East End, wo Bandleader James Allan heute noch lebt. Zum anderen, weil die Band am Mittwoch in Hamburg zum Auftakt ihrer Deutschlandtournee bereits zum zweiten Mal nach 2008 ihre bombastischen Hymnen im Molotow aufführte, jenem engen und flachen Reeperbahn-Keller, wo bombastische Hymnen eher nicht zum Alltag gehören.

Die kargen Kleinbühnenarrangements taten besonders den Songs „The World Is Yours“ und „Euphoria, Take My Hand“ gut, den Singles aus dem am 1. April erscheinenden zweiten Album „Euphoric /// Heartbreak \\\“. Glasvegas live – da stehen nicht zuckrige Soundwände im Mittelpunkt, sondern die so enthusiastische wie stoische Klopperei der neuen Schlagzeugerin Jonna Löfgren, die, wie ihre Vorgängerin, ihren Job im Stehen verrichtet.

Die Dramaturgie des Auftritts war durchaus bemerkenswert: Statt vorrangig das neue Album zu promoten, stimmten Glasvegas in der ersten Hälfte plötzlich „Be My Baby“ an. Man braucht schon viel Selbstbewusstsein, um einen derart unoriginellen Klassiker – eine Reminiszenz an Songwriter und Produzent Phil Spector, der im monumentalen Album-Sound der Band immer wieder herumspukt – relativ exponiert auf der Setlist zu platzieren. Noch größer die Überraschung, als das Stück nahtlos in Henry Mancinis „Moon River“ übergeht: Zu spärlicher Keyboardbegleitung croont sich James Allan inbrünstig durch das für den Film „Breakfast at Tiffanys“ geschriebene Stück.

Der gewöhnlichen Hamburger Rockschuppen-Kundschaft geht es dabei ein bisschen zu andächtig zu. Bei leisen Stücken sabbeln die Damen und Herren lieber, man ist schließlich wegen der Mitgrölstücke gekommen, wegen „Go Square Go“ zum Beispiel, das von The Clash inspiriert ist, oder wegen „Geraldine“, des Gassenhauers über die gleichnamige Sozialarbeiterin. Später passiert es noch einmal, dass in einem sehr ruhigen Part die Kommunikationsfreude der Zuschauer ausbricht, und es muss erst ein britischer Fan eingreifen, damit die unfeinen Hanseaten ruhiger werden.

Man darf die Wahl von „Be My Baby“ und „Moon River“ wohl auch als Wink verstehen. Die implizite Botschaft von Glasvegas lautet: Wir machen nicht nur Rock zur Zeit, sondern Songs, die das Zeug zum Klassiker haben – ein nicht ungesunder Größenwahn, der einst auch bei einer anderen schottischen Band, The Jesus And Mary Chain, ausgeprägt war.

Wer an Glasvegas vor allem das Überkandidelte und die großen Gesten mag, der wird auch bei Auftritten in kleinen Klubs nicht enttäuscht. All diese Elemente finden sich in der exaltierten Bühnenshow Allans. Der frühere Drittliga-Kicker (Dumbarton FC) gibt nunmehr den Rock-Gott: Sein im Lichterketten-Stil designtes Mikrofonkabel, das an weihnachtliche Balkonbeleuchtungen erinnert, hat er sich dazu wie einen Schal umgehängt.

Aber Allan ist eher ein Rock-Gott von nebenan. Einmal holt er kurz einen Mann auf die Bühne, angeblich ein Cousin, den er 25 Jahre nicht gesehen hat – wegen Allans gewöhnungsbedürftigem schottischen Dialekt ließen sich Details nicht exakt eruieren. Für die Umarmung mit dem Vetter nimmt der Sänger sogar ein paar Sekunden seine Sonnenbrille ab, die sonst wie verwachsen mit seinem Gesicht wirkt.

Kurz nach ein Uhr nachts, das Konzert ist bereits mehr als eineinhalb Stunden vorbei, twittert jemand vom Glasvegas-Account, es ist höchstwahrscheinlich Bandboss Allan: „Just had the funniest shopping trip ever in the reeperbahn. Latex masks and all.“ Ein gewöhnlicher Stadionrocker hätte diese gewöhnlichen touristischen Erfahrungen der Welt wahrscheinlich nicht mitgeteilt. RENÉ MARTENS

■ Live: 12. 3., München, Atomic Café

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