: Verharren in der gewählten Einstellung
Gruppenbild mit Mutter: In „Ferien“ (Panorama Special) rahmt Thomas Arslan ein Familienmelodram so streng, dass selbst ein Verlassen des Rahmens als Rahmung erscheint
Familienaufstellung auf dem Lande: Die Großmutter stirbt, der Sohn aus zweiter Ehe erlebt die erste Liebe, eine Tochter hat eine Affäre, die andere haben die anderen lange nicht gesehen, die Mutter (Angela Winkler) ist über den Verlust des Exmanns nicht hinweg. Einerseits banale, alltägliche Geschichten, andererseits Stoff für ein Melodram, auf das Thomas Arslan aber nicht hinauswill.
Gruppenbild mit Mutter und mit Waldesrauschen. In den Ferien kommt die Familie im Haus zusammen, in dem die Mutter lebt mit ihrem zweiten Mann (Wigand Witting) und dem Sohn aus dieser zweiten Ehe. Der Film entwirft eine präzise, allerdings nicht in ihren Zusammenhängen überschaubare Topografie: Man sieht das Haus, man sieht die Natur, den Wald, der es umgibt. Man sieht Feldwege, eine Badestelle am See, ein nahegelegenes Dorf. Ein Krankenhaus, später. Aber das Zentrum ist das Haus, dessen Zentrum ist die Mutter, und die Mutter ist Angela Winkler. Um sie herum konstelliert der Film seine Figuren. Er ist sehr geschickt darin, sie zusammenzusetzen aus Szenen, deren Augen- und Ohrenzeuge man wird, und aus Informationen, die man hinter ihrem Rücken durch die Worte der Verwandtschaft zu hören bekommt. Die Auslassungen sind so wichtig wie das, was man sieht und erfährt. Alles atmet in diesem Film.
Zwischen die Familienszenen legt Arslan immer wieder – freilich auch sehr genau gerahmte – Bilder der Natur, menschenlose Bilder, das, was Noel Burch pillow shots nennt, Bilder, die sich auf sanfte Weise der bloßen Erzählung, der Einbindung in die Geschichte verweigern und so das Gewicht der Worte, das Gewicht des Geschehens als Freiheitsmomente austarieren. Man übertreibt nicht, wenn man feststellt: Jede Einstellung in „Ferien“ ist von unbestreitbarer Schlüssigkeit und Intelligenz. Aber gerade dadurch drohen die Bilder gelegentlich die Darstellerinnen zu erdrücken. Bisher hat Arslan vorzugsweise mit Laien gedreht; diesmal ist mit Angela Winkler sogar eine Theater- und Filmlegende besetzt. Freilich sind auch die Profischauspielerinnen in den Rollen, die sie spielen, immer als reale Individuen im Spiel.
Arslan gibt diesem sehr spezifischen Dokumentarismus der Fiktion eine strenge formale Rahmung. Eine Aussprache zwischen Eheleuten hat die folgende Form: Wir sehen eine dunkle Hauswand, die die Leinwand füllt. Scharf ausgeschnitten darin ein Fenster. Drinnen ist Licht. Man hört Geräusche von draußen und Geräusche von drinnen. Man sieht drinnen, im Rahmen, den das Fenster gibt, den Mann, die Frau. Die nächste Einstellung ist drinnen. Die Frau im Sessel. Links, im rechten Winkel zu ihr, der Mann auf der Couch. Es folgt die Aussprache („Ich habe einen anderen kennengelernt“), die Kamera behält die Position, die Figuren behalten die Position, und wenn der Mann einmal aufsteht und verschwindet, bleibt die Frau allein im Bild zurück. Hier ahnt man dann auch die Crux dieser ästhetischen Disziplinierung: Es gibt für den Ausbruch der Gefühle keine Form, die Ausbruch wäre aus dieser Form der Inszenierung.
Die Grenzen dieser Inszenierungsform sind auch die Grenzen der in ihr darstellbaren Figurengefühlswelt. Das Haus auf dem Lande wird so zum Schauplatz emotional wie ästhetisch gedämpfter Familienmelodramen. Die Konflikte kulminieren beim gemeinsamen Essen. Endlich werfen sich alle an den Kopf, was sie denken. Schweigend verlässt der Stiefvater den Tisch. Auch die Tochter steht auf, verlässt das Bild, ihre Schwester wirft ihr wütend einen kleinen Gegenstand hinterher. Die Kamera aber verharrt in der einmal gewählten Einstellung. Der größte denkbare Exzess besteht im Verlassen des Rahmens, der damit aber nicht bricht, sondern auch den Bruch noch rahmt. Und so hat noch die Luft, die „Ferien“ atmet, etwas Erstickendes.
EKKEHARD KNÖRER
„Ferien“. Regie: Thomas Arslan. Deutschland, 2006, 91 Min. 15. 2., 19 Uhr, Zoo Palast; 16. 2., 11 Uhr, Cinemaxx; 18. 2., 20 Uhr, Cubix