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Archiv-Artikel

Der Begleiter quälender Zeiten

DOKUMENTARFILM Das Lichtblick-Kino zeigt zwei Filme von Thomas Heise, die selbst schon Geschichte geworden sind: Sie erzählen vom Entstehen rechter Jugendkultur im Ostberlin der Wendezeit

Heise ist ein kühler Beobachter: Er findet nicht, was er sucht, sondern was da ist

VON MATTHIAS DELL

Wie die Zeit vergeht: Die Berliner Premiere von Thomas Heises Film „Stau – Jetzt geht’s los“ im November 1992 war noch ein Politikum. Ein paar Monate nach den Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen, als ein August-Wochenende lang ein Mob aus Neonazis und Nachbarn ein Flüchtlingswohnheim attackierte, fürchteten Berliner Autonome den Film als Verherrlichung rechter Skinheads. Flugblätter wurden verteilt, die Vorführung im BE, an dem Heise seinerzeit arbeitete, abgesagt; der Film war schließlich im Babylon-Kino zu sehen, der Versuch einer Diskussion endete in Schreierei.

Heute sind solche Aufwallungen angesichts einer Filmvorführung nicht mehr zu erwarten, was auch damit zu tun hat, dass der Film selbst Geschichte ist (die das Werk bereits dokumentiert: „Material“ von 2009 endet mit Aufnahmen von der „Stau“-Uraufführung in Halle, bei der Autonome das Kino mit Leuchtmunition beschießen). Gleichzeitig behauptet „Stau“ eine monströse Aktualität: Die jungen Rechten von Halle-Neustadt sind Altersgenossen jener Jenenser Neonazis, die sich als NSU zu terroristischen Mördern radikalisiert haben. In diesem Sinne ist die Ruhe, in der der Film heute gezeigt werden kann, wiederum beredt. „Stau“ steht für eine Offenheit der Auseinandersetzung, die das Gegenteil einer fragmentierten, hermetischen Gesellschaft ist, in der sich nichtähnliche Meinungen nicht mehr begegnen).

Dabei ist Heise kein Sozialarbeiter, der die unterreflektierten Jungen bekehren will. Er ist ein kühler Beobachter, der nichtfindet, was er sucht, sondern herausstellt, was da ist. „Stau“ ist entstanden durch Geld des Ausländerbeauftragten in Sachsen-Anhalt. Der Filmemacher ist mit kleinem Team nach Halle-Neustadt gefahren, hat sich in einen Jugendclub gesetzt und ist mit den Konrads und Ronnys in Kontakt gekommen. So sitzt die Kamera an Wohnzimmertischen und schaut in Familien, in denen die Väter zumeist fehlen und Sinn mit dem Ende der DDR verloren ist. Heise fragt scheinbar skurrile Sachen („Was ist ein Tag?“), lässt sich Kinder und Geburtstage aufzählen und kommt so ins Gespräch. Im Grunde ist „Stau“ ein Film, der philologische Fragen diskutiert. „Wenn man für alles Worte hätte, dann wäre man doch eigentlich perfekt, oder?“, sagt Ronny einmal, dem die Bruchstellen seines nachgeplapperten rechten Denkens durchaus auffallen. Man kann in Heises Film ziemlich genau beobachten, wie ein Vakuum an Zeit und Bedeutung besetzt wird mit kursierenden Erzählungen von Stärke und Ordnung. Das Bild des Films ist nicht der – schwer erträgliche – Ausflug nach Buchenwald (bei dem die Kamera auf Distanz bleibt), sondern das Ende, an dem Ronny mit einer Pistole auf einen Wecker schießt: der quasi körperliche Angriff auf die quälend leere Zeit.

„Stau“ als Double Feature mit dem zweieinhalb Jahre früher entstandenen „Imbiß Spezial“ zu zeigen, ist eine einleuchtende Idee. Der Kurzfilm dokumentiert die Arbeit in einer Gaststätte im Berliner Bahnhof Lichtenberg (in dessen Nähe wenig später Neonazis Häuser besetzten) in den Tagen um den 40. Jahrestag der DDR. Das konkrete Würstchengläserentleeren wird gegen die Genitivketten der Radionachrichten geschnitten, die entkoppelt von der Wirklichkeit sozialistische Erfolge beschwören.

„Imbiß“ endet mit bunten Fernsehbildern vom Fackelmarsch zum Republikgeburtstag, Menschen ziehen in einer letzten Inszenierung des sterbenden Staates von rechts nach links, also von Ost nach West. Danach ein Insert: „Aus Ideen werden Märkte. Deutsche Bank“. Am Anfang von „Stau“ ist zu sehen, was das bedeutet für die Gesellschaft: Auf der Straße nur Autos, die Kamera schwenkt von links nach rechts, also umgekehrt, von West nach Ost. Was bei „Imbiß“ Resignation war, kehrt in „Stau“ als Frust zurück. In beiden Filmen geht es um einen Generationenkonflikt, die Suche nach einer Sprache von unzufriedenen Kindern.

■ Thomas Heise: „Imbiss-Spezial“ und „Stau – Jetzt geht’s los“; Lichtblick-Kino, 10. 8., 20 Uhr, mehr auf: www.heise-film.de