: „Explosionen hören wir den ganzen Tag“
UKRAINE II Ein Ehepaar berichtet telefonisch aus Donezk über den Alltag im Krieg. Nahrung wird knapp, in Bahnhofsnähe schlafen die Menschen in Kellern. Beide denken an Flucht, wissen aber nicht, wohin
Am meisten Angst haben wir davor, dass die Situation in Donezk lebensbedrohlich wird. Noch gibt es in unserem Viertel fließendes Wasser und Strom, aber wir wissen nicht, was noch kommt. Zwei große Stadtviertel sind bereits seit mehreren Tagen von der Energieversorgung abgeschnitten. Wasser bekommen die Menschen dort nur noch alle paar Stunden.
In der Stadt wächst das Problem mit der Brotversorgung. In den Stadtvierteln, die besonders stark umkämpft sind, befinden sich zwei Brotfabriken, die ihren Betrieb einstellen mussten. Manchmal ist die Brottheke im Supermarkt leer. Das Angebot an anderen Lebensmitteln ist ebenfalls geringer geworden. Man kann nur noch Milchprodukte eines lokalen Donezker Herstellers kaufen. Die anderen Hersteller können ihre Lebensmittel einfach nicht bis in die Stadt liefern und wollen lieber auch kein Risiko eingehen.
Es ist schwer, Automaten zu finden, um das Handy aufzuladen. Geld am Automaten abzuheben, ist nicht mehr möglich. Es ist schwierig, an Informationen zu gelangen. Alle ukrainischen Fernsehkanäle wurden abgeschaltet, sogar die Musiksender.
Nachrichten lesen wir im Netz, aber nicht alle haben einen Internetzugang. Ältere Menschen beziehen ihre Informationen nur über die russischen Fernsehkanäle. Sie glauben alles, was sie sehen. Trotz des Krieges gibt es noch viele, die die Volksrepublik Donezk unterstützen, aber es werden immer weniger.
Wir können nicht sagen, was alles zerstört worden ist, weil wir das nicht selbst gesehen haben. Wir verlassen das Haus nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Explosionen hören wir den ganzen Tag. Vor Kurzem, einen Kilometer entfernt von unserem Haus, wurde eine Bombe auf Wohnhäuser, eine Schule und einen Supermarkt abgeworfen.
Viele zerstörte Gebäude gibt es auch in den Vierteln rund um den Bahnhof. Dort schlafen die Menschen nachts in den Kellern. Viele haben Donezk und ihre Häuser verlassen. Viele Häuser stehen überhaupt nicht mehr.
Wir wissen nicht, wann das alles ein Ende hat. Die Antiterroreinheiten der Regierung berichten oft über ihre Siege, wir aber haben das Gefühl, dass sie übertreiben. Wir haben uns moralisch darauf eingestellt, zu flüchten. Nur wohin, wissen wir nicht.
Aus dem Russischen Ljuba Naminova