: „Nobelpreis? Da lassen wir mal Bob den Vortritt“
Wolfgang Niedecken mag Neil Youngs neue Protestsongs nicht: Sie sind ihm „zu platt“. Der BAP-Sänger über Erwachsenen-musik, die lethargische Gesellschaft, Biermann, Dylan – und den Major
INTERVIEW PETER UNFRIED
Herr Niedecken, der Protestsong ist in diesem Jahr zurückgekehrt. Wie finden Sie das?
Ich habe Politrock nie gemocht. Ich habe zwar für Floh de Cologne …
… eine Politband aus den 70ern …
… zwei Cover gemalt, aber ich habe mich damals schon immer gefragt: Halten die sich für schlauer als mein Schuster? Ich habe heute noch Probleme, wenn ich Politrocktexte höre, selbst bei meinen Helden.
Neil Young hat doch ein furioses Anti-Bush-Album abgeliefert.
Ich habe auch versucht, mir „Living with War“ schönzureden. Es ist mir nicht gelungen.
Warum nicht?
Weil ich denke: Was willst du von mir, Mann?
Young lässt da keinen Zweifel: „Let’s Impeach The President“. Klagt Bush an.
Das weiß ich doch alles. Das ist mir zu platt, zu sehr Holzhammer. Einem 20-Jährigen würde ich dieses Album durchgehen lassen, aber nicht einem Kerl, der noch mal zehn Jahre mehr drauf hat als ich. Ich hätte lieber Songs, wo er darüber singt, wie er das empfindet, wie er in seinem Mikrokosmos unter diesen Zuständen leidet. Aber ich will keine Plakate. Und am Schluss wird es ganz grauenhaft.
Sie meinen „America The Beautiful“?
Als ich das im Auto hörte, war ich fassungslos. Das ist ja wie bei den frühen Immendorff-Bildern. Das war noch richtiger Klassenkampf. Na ja, Neil Young ist nicht ganz so schlimm.
Rock kann also nicht wieder zum Sturm aufs Weiße Haus aufrufen?
Es gefällt mir besser, wie Bruce Springsteen das gemacht hat, als er „The Seeger-Sessions“ aufnahm. Eigentlich aus der gleichen Wut heraus. Er fängt nicht an, die heutige politische Situation in den USA zu besingen, aber er hat eine Haltung, die mir viel mehr bringt.
Sie haben das Bundesverdienstkreuz gekriegt für eine Großveranstaltung in Köln gegen Rassismus und einen kerzengeraden Politsong: „Arsch huh, Zäng ussenander“?
Das ist eines von vielen Missverständnissen. Ich habe aus einer Situation heraus diesen Text geschrieben, das stimmt. Gekriegt habe ich das Ding, weil ich die bekannteste Nase aus diesem Musikerzusammenschluss war. Und angenommen habe ich es stellvertretend für Köln.
Der Vorwurf lautete: Da hat sich noch einer der in den 60ern Sozialisierten arrangiert.
Ich habe mich nie als Revolutionär gesehen. 1968 war ich 17. Ich war in keinem marxistischen Verein. Das Totalitäre dahinter hat mich immer erschreckt. Ich war auf der Kunsthochschule, und dann ging es flott in den Elfenbeinturm. Wir wurden oft eingeladen zu einer Veranstaltung und haben dann erst angefangen, uns mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ein stehender Spruch bei BAP war: Die sehen zwar komisch aus, die Teppichtaschen, aber recht haben die schon!
Welche Teppichtaschen?
Na, die Bürgerbewegten aus den Initiativen, die Hausbesetzer, die aus der Anti-AKW- und Friedensbewegung oder weiß der Teufel. Wir sollten pausenlos die Flugblätter auf der Bühne verlesen – und wehe, man tat es nicht.
Manche Bewegten rechneten BAP eh der „langhaarigen Luschiszene“ zu.
Womit sie recht hatten.
Die BAP-Protestveranstaltungen gegen Nachrüstung und Atomkraft brachten in den 80ern eine halbe Million Menschen auf die Straße. So was ist im Moment schwer vorstellbar.
Stimmt. Da bin ich keiner, der einen Weg aus der Klemme weiß. Das hat sehr viel damit zu tun, dass in der breiten Bevölkerung das Interesse an wirklichen Themen zum Erlöschen gebracht wird durch Reizüberflutung, vor allem im Fernsehen. Die kriegen nur noch Fassaden mit, die sie wählen. Aber ich gebe auch zu: Es ist sehr schwer, über die großen Reformthemen interessante Sendungen zu machen. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, darüber ein Lied zu schreiben.
Herr Niedecken, warum haben wir in Deutschland keine reife Rockmusik in der Art, wie sie Bob Dylan, Neil Young, Randy Newman machen?
Haben wir schon. BAP machen sie doch.
Dann fehlt das Wissen darum?
Ich kann nicht von allen erwarten, dass sie sich über jeden Atemzug von BAP auf dem Laufenden halten. Ich kann auch nichts machen, wenn jemand irgendwann das Gefühl hat, dass er das neue Album eines Künstlers nicht mehr braucht. Das passiert. Mir geht es bei manchen Bands auch so. Aber der Künstler arbeitet ja weiter. In unserem Fall ist es für mein Gefühl genau das: eine künstlerische Entwicklung, ein konsequentes Weiterarbeiten. Ich habe immer drauf geachtet, dass BAP nicht zur Berufsjugendlichen-Band wird. Ich glaube, dass es noch viel mehr Kollegen gibt, die erwachsene Musik machen. Die findet halt nicht im Radio oder Fernsehen statt, weil die vom Jugendlichkeitswahn verseucht sind.
Wolf Biermann schrieb 1984 über „Zwesche Salzjebäck un Bier“, die Texte seien Kunst, die Musik aber scheiße.
Der Wolf steht einfach nicht auf Rock ’n’ Roll.
Biermann hat das Dilemma so gedeutet: Ihre Texte seien gefangen in einer Musik, die ihnen nicht gerecht werde, aber die Massen erschließe.
Wir haben die Texte nicht als die Falle gedacht und die Musik als Köder. Das war keine Strategie. Das war 1984, also noch bevor die Band anfing, in puncto Kommerzialität in zwei Lager zu zerfallen. Zwar soll jede Generation darauf reinfallen, zu glauben, sie würde den Rock ’n’ Roll neu erfinden, aber wir haben das nie gedacht.
Ne?
Nein. Wir waren 1984 immer noch eine ziemlich runkelnde Garagenkapelle. Das hat live ordentlich Spaß gemacht. Aber wir haben nicht gegroovt und auch nie gedacht, wir wären innovativ. Hätte man unsere frühen Reggaes wie „Müsli Män“ einem Kollegen aus der Karibik vorgelegt, der hätte sich weggeworfen. Es war eine Befreiung, als der Schlagzeuger Jürgen Zöller und fast zehn Jahre später sein Lieblingsbassist Werner Kopal zu uns kamen. Da haben wir dann gemerkt: So, jetzt geht’s, jetzt können wir auch Reggae spielen.
BAP ist heute so gut wie nie?
Das ist uncharmant gegenüber den Kollegen aus früheren Besetzungen, aber objektiv gesehen: BAP ist jetzt eine richtig gute Band. Das hört sich nach Tiefstapelei an, aber in dieser Band bin ich froh, dass ich auf der Bühne mit diesen vier Kerlen Gitarrespielen darf. Das ist ein Rock-’n’-Roll-Kompetenzteam. Die könnte ich jedem internationalen Künstler empfehlen, der auf Welttour geht: von Tom Petty bis Bob Dylan.
Und Sie?
Unser Trommler sagte mir erst vor einigen Monaten, dass es für ihn das Allergrößte ist, bei BAP zu spielen – vor allem wegen der Texte. Das hat mich umgehauen.
Für wann erwarten Sie den Literaturnobelpreis?
Für Bob Dylan oder was?
Nicht ausweichen.
Do losse mer däm Meister ens höflichst Vürtritt.
Die Musikvertriebsstrukturen haben sich radikal verändert. Wie reagieren Sie darauf?
Wir versuchen einfach, ordentliche Platten und Konzerte abzuliefern. In diesem Jahr konnten wir auf unserer Tour bisher über 200.000 Zuschauer begrüßen. Und das aktuelle Doppelalbum „Dreimal zehn Jahre“ bewegt sich unauffällig auf die Platingrenze zu. Also kein Grund zum Klagen. Aber genau genommen sind die neuen Distributionswege für uns eine Katastrophe.
Warum?
Wir sind eine Liveband und eine Albumband. Das sind nicht wahllos zusammengewürfelte Stücke, von denen man hofft, dass es eins ins Radio schafft. Für uns ist es eine Katastrophe, dass es mittlerweile als normal angesehen wird, dass man sich einzelne Songs runterlädt. Was lädt man sich denn runter? Das, was einem irgendjemand eingeredet hat oder was man irgendwo schon mal im Radio gehört hat. Da bleiben ganz wichtige Stücke außen vor. „Wellenreiter“ wäre sicher heute kein Stück, das eine Chance hätte, runtergeladen zu werden. Aber es ist ein Stück, das eindeutig auf das Album „Vun drinne noh drusse“ gehört.
Sie haben auf dem Weg Ihren langjährigen Gitarristen Klaus Heuser verloren. Die Rockgeschichte basiert aber auf dem Ideal eines Paars künstlerischer Gegenpole, das sich kämpfend zu Höchstleistungen treibt. Was ist wirklich besser: Kampf oder Konsens?
Das ist nicht generell zu beantworten. Lennon/McCartney hätte nicht funktioniert, wenn beide nur Lennon- oder nur McCartney-mäßig unterwegs gewesen wären. Jagger/Richards genauso wenig. Wir haben eine Zeit lang aus lauter Romantik auch Heuser/Niedecken unter die Stücke geschrieben, egal wie sie entstanden sind.
Manche sind nicht Heuser/Niedecken?
Viele sogar, aber das war bei den Beatles und den Stones auch nicht anders. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass wir diese Spannung nicht mehr brauchen, um zu Resultaten zu kommen. Wir waren in zwei Richtungen unterwegs und haben uns oft gegenseitig blockiert.
Wie lief das?
Da wurden nur noch Mehrheiten gesucht: Der findet das scheiße, der auch, der auch. Findest du das eigentlich immer noch gut? Heute weiß ich, dass man über Kunst nicht abstimmen kann.
Der Abschied 1999 nach dem letzten Konzert klingt nach Cowboyfilm.
Das ist mir eigentlich unangenehm, darüber zu reden: Es war tatsächlich ein bisschen wie im Cowboyfilm. Der Major hatte gesagt, die „Comics & PinUps“-Tour mache ich noch mit. Aber danach höre ich auf, weil das, was ich mit BAP machen will, ist mit dir nicht zu machen. Die neue Platte „Tonfilm“ war bereits mit der neuen Band aufgenommen. Dann haben wir mit der alten die Open-Airs gespielt. Das war für den Major keine besonders schöne Situation. Das letzte Konzert war in Koblenz im Deutschen Eck. Das ist ihm sehr nahe gegangen. Da stand ein Auto neben der Bühne, das auf ihn wartete. Und das hat ihn dann sofort weggefahren. Dann habe ich ihn nicht mehr gesehen.
Nie mehr?
Das hat sehr lange gedauert, bis wir wenigstens mal wieder miteinander telefoniert haben.