: Waffen für Kurdistan!
IGNORANZ Es ist moralisch und politisch notwendig, die Kurden und Jesiden in ihrem Kampf gegen den „Islamischen Staat“ zu unterstützen. Doch in Europa stehen sie allein
VON DENIZ YÜCEL
Seit Anfang Juli gibt es auf der Webseite des Auswärtigen Amtes neun Erklärungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu Gaza – aber keine zu den Gräueltaten der Miliz „Islamischer Staat“ (vormals Isis) gegen Christen, Jesiden und säkulare Sunniten. Gleichwohl hat man eine Meinung: Eine Aufrüstung der Kurden wäre falsch, sagte eine Sprecherin des Amtes. „Isis wird geschwächt, wenn man es schafft, dass die Sunniten, die Isis unterstützen, Isis nicht mehr diese Rückendeckung geben.“
Klar. Man kann es sich gut vorstellen, wie gern sich diese Leute an den runden Tisch setzen, und auf Wunsch schickt die Bundesregierung bestimmt einen Vermittler, Heiner Geißler müsste doch gerade verfügbar sein. (Schlichtervorschlag: Köpfen von Ungläubigen nur noch montags bis freitags bis 17 Uhr.) Mit dieser Sicht steht die Bundesregierung nicht allein. „Kuddelmuddel im Irak: Kurden, Sunniten, Schiiten, Stalaktiten, alle wollen jetzt ein Stück vom Staatskuchen“, hieß es in der Titanic so schön. Oder ganz ernsthaft, wie ein ARD-Kommentator bereits im Januar schrieb: „Die tief sitzende und berechtigte Unzufriedenheit der irakischen Sunniten bereitet den Eiferern einen fruchtbaren Boden.“
Mag sein. Mit einer integrativeren Politik des Zentralstaats hätte Isis womöglich nicht so leicht so tief in den Irak vordringen können. Aber die Vorstellung, dass die Dschihadisten aus Tschetschenien, Afghanistan oder Dinslaken sich davon hätten abhalten lassen, ist Blödsinn. Hier zeigt sich das Elend des politischen Denkens in Deutschland seit Johann Gottfried Herder, Johann Gottlieb Fichte und Peter Scholl-Latour: Immer von Kultur zu reden, wo es um Politik geht. Und nicht zu begreifen, was Kultur ist und was Zivilisation.
Genau darum, um die Verteidigung der Zivilisation, geht es im Irak. „Wir stehen vor einem Völkermord, der in seinen Ausmaßen nur vergleichbar ist mit den Massakern in Ruanda und Darfur“, schreibt die Gemeinschaft der Jesidischen Vereine in Deutschland. Auch die kurdische Gemeinde spricht von einem „drohenden Völkermord“. Dramatisch. Aber nach allem, was bekannt ist, nicht übertrieben.
Nur Hilfe von Peschmerga
Gegen diese Höllenbrut stehen die Kurden allein, wie so oft in ihrer Geschichte. Sie demonstrieren in Berlin unter sich und fast unbemerkt von den Medien. Und sie kämpfen allein. Die irakisch-kurdischen Peschmerga bekommen nun Hilfe von der türkisch-kurdischen PKK, der syrisch-kurdischen PYD und den Selbstverteidigungskräften der Jesiden, einer kurdischen Gruppe mit eigener Religion. Im Gegensatz zu den Isis-Milizen haben sie keine schweren Waffen und sind allenfalls für den Guerillakampf ausgebildet. Da auf die Zentralregierung kein Verlass ist, benötigen sie Hilfe von außen: Waffen, Munition, Unterstützung aus der Luft. Denn aufhalten kann man die IS-Mörder nur, indem man ihnen dabei hilft, den Weg zu ihren 72 Jungfrauen abzukürzen.
Die moralische Pflicht und die politische Notwenigkeit, den Kurden zu helfen, haben alle, ganz besonders die USA. Derzeit prallen zwei Folgen des Irakkrieges aufeinander: Einerseits haben die USA die Dschihadisten, die sie im Irak zu bekämpfen vorgaben, erst ins Land geholt. (Zwischenzeitig verlagerten diese sich nach Syrien, nun kämpfen sie in beiden Ländern.) Andererseits hat der Krieg die Autonome Region Kurdistan geschaffen, das erste längerlebige staatliche Gebilde der Kurden, das, anders als der restliche Irak, kein failed state ist, sondern wenig repressiv und einigermaßen säkular. Dass die Christen und Jesiden dort Zuflucht suchen und nicht etwa im Zentralstaat, dürfte kein Zufall sein.
Ähnlich ist die Konstellation in Syrien: Einerseits hat die IS ihren Aufstieg nicht nur Geld aus Saudi-Arabien oder Katar zu verdanken, sondern auch der Unterstützung etwa der Türkei. Andererseits ist die von kurdischen Milizen kontrollierte Region Rojava wohl die einzige, in der es heute um die Menschenrechte besser bestellt ist als vor Beginn des Aufstands gegen Assad.
Kurden und Jesiden brauchen Hilfe, humanitäre wie militärische. Für das eine hat der Zentralrat der Jesiden (yeziden.de) ein Spendenkonto errichtet. Das andere müssen Staaten leisten. Auch Deutschland. Und mit noch etwas kann sich Deutschland nützlich machen: das PKK-Verbot aufheben. Im Nahen Osten gibt es nicht viele Kräfte, mit denen Demokratie zu machen ist. Die Kurden gehören dazu.