: Linkspartei nähert sich der SED an
War die Vereinigung von SPD und KPD zur SED vor 60 Jahren gar nicht so erzwungen? Die künftige Staatssekretärin von Wirtschaftssenator Wolf, Almuth Nehring-Venus, sorgt mit missverständlichen Äußerungen für Empörung
Ihre Provokation war gut vorbereitet. Die Noch-Bezirksstadträtin von Pankow, Almuth Nehring-Venus, hatte ihr Redemanuskript in der Hand, als sie gestern Vormittag auf dem Gelände des Bezirksamts ans Mikro trat. Gerade hatten ihre Vorredner die frisch eröffnete Ausstellung zur Geschichte des ehemaligen Haftkellers von Sowjets und Stasi an diesem Ort gelobt. Nehring-Venus hingegen ging es um Grundsätzliches, um die Geburt der SED-Diktatur. Die Ausstellungstafeln suggerierten aus ihrer Sicht, „dass es in Ost wie West, in KPD wie SPD gar keine Vereinigungsanhänger gegeben haben musste“. Doch „es war anders“.
In derselben Rede verglich die Linkspartei-Frau die Politik der Sowjetunion unter Stalin mit jener der damaligen Vereinigten Staaten: „Auch die Politik der USA war auf Machterhalt und Machtausbau, vor allem aber gegen die Sowjetunion gerichtet.“
Mit ihren Äußerungen sorgte die designierte Staatssekretärin in der Wirtschaftsverwaltung unter den Anwesenden für Empörung. Der Vorsitzende der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur, Rainer Eppelmann, urteilte: „Damit hat sich Frau Nehring-Venus keinen Gefallen getan.“ Die Geschäftsführerin der Stiftung, Anne Kaminsky, wurde noch deutlicher: „Damit fällt sie hinter den PDS-Beschluss von 1996 zurück.“ Damals verordnete sich die Bundespartei einen gemäßigteren Umgang mit der ungeliebten Bundesrepublik.
„Zumindest schwer missverständlich“ fand der Pankower Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) Nehring-Venus’ Worte: „Man könnte auch denken, dass Stalin nötig war, weil es den Zweiten Weltkrieg gegeben hatte.“ Und ein Mitarbeiter der neuen Ausstellung „Prenzlauer, Ecke Fröbelstraße“, André Noeske, urteilte: „Es ist eine Frechheit, dass sie den Großteil ihrer Rede darauf verwendet, die angeblichen Vorteile der Zwangsvereinigung zu benennen.“
Die Empörung hat ihre Gründe: Bei der Schau der Berlin-Brandenburgischen Geschichtswerkstatt geht es nur am Rande um die großen politischen Themen Kalter Krieg und SED-Gründung, sondern um die Geschichte der gelben Backsteinbauten vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, in denen heute das Bezirksamt residiert. Im Keller des so genannten Hauses 3 folterte der sowjetische Geheimdienst NKWD von 1945 bis 1950 Menschen. Das ließ Nehring-Venus in ihrer Rede außen vor. Stattdessen hielt sie den Kuratoren vor, dass es in der damaligen SPD sehr wohl Zustimmung zur SED-Gründung 1946 gab. Der Text auf der umstrittenen Ausstellungstafel gibt das jedoch kaum her. Dort heißt es: „Unterstützt durch die SMAD [Sowjetische Militäradministration in Deutschland; Anm. der taz] begann eine Kampagne für die SED, bei der die Mehrheit der SPD-Mitglieder in der SBZ ständigem Druck und offener Repression ausgesetzt war. Die Führung der SPD in der SBZ und eine Minderheit in der Partei unterstützten den Vereinigungskurs.“
Der bizarre Streit hat eine Vorgeschichte: Bereits vor Wochen hatte Nehring-Venus die Ausstellung gegenüber den Machern der Berlin-Brandenburgischen Geschichtswerkstatt kritisiert. Nach langem Hin und Her blieb der ursprüngliche Text. Im Gegenzug kündigte die Stadträtin für Kultur, Wirtschaft und Stadtentwicklung eine provokante Rede an. Ursprünglich sollte die Eröffnung nicht unter freiem Himmel vor den Ausstellungsräumen stattfinden, sondern im benachbarten Saal der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Laut den Ausstellungsmachern verhinderte Nehring-Venus dies im letzten Augenblick.
Die Bezirksposse hat möglicherweise Folgen: Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Wirtschaftssenator Harald Wolf Nehring-Venus zu seiner Staatssekretärin machen will. Doch eine kalte Kriegerin im Haus könnte für den PDS-Realo zum Problem werden. MATTHIAS LOHRE