„Jugendvollzug ist eine eigenen Materie“

Bis Ende des Jahres müssen alle Länder eine Gesetzesgrundlage für den Jugendstrafvollzug beschließen. Jugendhilfe-Experten haben einen Normen-Katalog erarbeitet. Ein Gespräch mit dem Co-Autor Helmut Pollähne

taz: Herr Pollähne, Sie haben „Mindeststandards für Jugendgefängnisse“ formuliert – warum?

Helmut Pollähne: Die derzeitigen Zustände in den Jugendknästen genügen verfassungsrechtlichen, fachlichen und internationalen Standards nicht. Dies konterkariert Resozialisierungs- und Präventionsbemühungen ganz erheblich. Der Zeitpunkt unserer Intervention kommt nicht von ungefähr: Im Moment wird in allen Bundesländern über neue Jugendvollzugsgesetze beraten.

Gab es bisher keine?

Nein, Jugendstrafvollzug ist gesetzlich bisher nicht richtig geregelt. 2006 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ein solches Gesetz erlassen werden muss.

Wie bewerten Sie die Entwürfe der norddeutschen Länder?

Sie sind vor allem an Kostenaspekten orientiert und bieten kaum Verbesserungen gegenüber dem Status quo. Bremen und Schleswig-Holstein haben ihren Entwurf mit sieben anderen Ländern verfasst, Hamburg hat noch nichts formuliert. Niedersachsen gibt sich etwas härter und hat zum Beispiel „verschärfte Fesselungsmöglichkeiten“ angekündigt. Sehr unglücklich ist, dass das Land ein Gesetz für Jugend-, Erwachsenen- und Untersuchungshaft zusammen verabschieden will.

Warum ist das ein Problem?

Jugendvollzug ist eine ganz eigenen Materie – und braucht deswegen ein eigenes Gesetz. Es ist eine Zumutung für die betroffenen Jugendlichen, wenn sie ein riesiges Gesetz voller Querverweise lesen müssen, um sich über ihre Rechte zu informieren.

Wie sollte Jugendvollzug ihrer Meinung nach aussehen?

Wiedereingliederungshilfen müssen lange vor der Entlassung einsetzen und Stellen außerhalb der Anstalt einbeziehen. In Bremen laufen die Maßnahmen oft erst nach der Entlassung an. Offener Vollzug muss gewährleistet sein, um den Kontakt nach außen zu halten – in Bremen findet derzeit kein offener Vollzug statt. Qualifizierung sollte selbstverständlich sein – und darf keinesfalls an Wohlverhalten gebunden sein, wie Niedersachsen dies unter dem Schlagwort des „Chancenvollzugs“ plant.

Warum sind Wohngruppen so wichtig?

In kleinen Einheiten mit hoher Betreuungsdichte lernen die Gefangenen, soziale Beziehungen aufbauen und ihren Alltag gemeinsam zu organisieren. In Einzelzellen, die auf einem großen Gang liegen und dann „Wohngruppen“ genannt werden – wie in Bremen – geht das nicht.

Dies wird oft aus Kostengründen abgelehnt.

Das meiste, was wir vorschlagen, kostet Geld. Doch die Ausgaben rechnen sich durch geringere Rückfallquoten.

In der JVA Siegburg wurde ein Jugendlicher von Mithäftlingen ermordet. Glauben Sie, mit ihrem Maßnahmenkatalog wäre das nicht passiert?

So blauäugig sind wir natürlich nicht. In Knästen geht es hart zur Sache. Dennoch war Siegburg kein Zufall: Unterausstattung und Vernachlässigung begünstigen solche Vorfälle.

Ist Strafhaft hinsichtlich einer Vermeidung künftiger Straftaten sinnvoll?

Im Hinblick auf Rückfälle ist der momentane Vollzug eigentlich das Schlechteste was man machen kann. Freiheitsentzug ist nicht dazu angetan, Jugendliche wieder auf den rechten Pfad zu bringen. Man muss schon froh sein, wenn Häftlinge nicht noch geschädigter rauskommen als sie reingekommen sind. INTERVIEW: CHRISTIAN JAKOB