: Der Mythos bröckelt wie kalkiger Gips
DEUTSCHES THEATER Die Mäntel der Mörder wirken wie in Blut gebatikt: Der Regisseur Andreas Kriegenburg inszeniert „Judith“ von Friedrich Hebbel als Geschichte einer Heldin, die sich selbst nicht traut
VON SIMONE KAEMPF
Gewalt verliert alles Selbstherrliche, wenn kein Volk zum Jubeln bereitsteht, niemand den Sieger als Helden feiert. So ergeht es Judith, wie man sie nun in den Kammerspielen des Deutschen Theaters sieht. Eine farbverschmierte, drahtige wie verausgabte Frau, die den schlafenden Heerführer Holofernes zuvor mit einem Säbelstich getötet hat: Sie wird nicht als Retterin des Volkes Israel ernannt, sondern erkennt, sich selbst überlassen, dass niedere Ziele ihr Handeln leiteten: „Nichts trieb mich als der Gedanke an mich selbst.“
Aus dem Kollektiv in die Vereinzelung führt Regisseur Andreas Kriegenburg seine Hauptfigur. Von der Generalpräsenz des Krieges zu der prekären Verantwortung des Einzelnen bewegt sich insgesamt seine Inszenierung der „Judith“ von Friedrich Hebbel. Erstmal sind es alle neun Schauspieler, die sich anfangs vor einer weißen Wand aufstellen, chorisch sprechen, die Wand mit grafischen Mustern bemalen, in denen sich die stilisierten Umrisse von Toten abzeichnen. Diafotos werden darüber projiziert: Obama und Gaddafi, das World Trade Center, Orthodoxe vor der Klagemauer in Jerusalem, verschleierte Frauen und ein Videostill der US-Angriffe auf afghanische Zivilisten. Eine Ikonografie, die zur klassischen Rezeption eine passende Distanz schafft, als Bedeutungskatalysator einen Bogen schlägt vom Ausmaß der aktuellen Kriegskonflikte zu denen in alttestamentarischen Zeiten.
Die Zwangsläufigkeit der Geschichte
Bald aber klappt dann die bemalte Bühnenwand nach hinten. Der Bühnenraum wird vergrößert, je näher die Tat rückt. Und doch verliert die Inszenierung mehr Tiefe, als sie gewinnt. Dass der Mord geschehen wird, daran zweifelt man nie. Die Zwangsläufigkeit der Ereignisse atmet diese Inszenierung von Anfang an, sie folgt der Mechanik einer Weltgeschichte, die eigentlich nie jemand will und die doch unvermeidlich geschieht. Aber es ist ein mühsamer, dreistündiger Weg, den die Inszenierung geht. Auch, weil aus den assoziativen Bildern des Anfangs weiter nichts entsteht.
Wer hier nur Soldat oder Volk darstellt, dem ist die eigene Mimik mit weißer Farbe zugekalkt. Die Botschaft kommt ja an: Individuelle Kraft reicht nicht, um das Rad der Geschichte zu stoppen. Allein die Mittel werden einem entgegengeschleudert. Die Mäntel der Mörder leuchten wie in Blut batikgefärbt. Das hungernde Volk hängt zusammen an einem weißen übergroßen Gewand, in dessen Zipfel sie göttergleich gewickelt sind und nur im kleinen Radius auseinanderdriften, dann wieder zusammenrücken, zitternd, jammernd, klagend, sich Gräueltaten erzählend. Ein kleines zusammengebundenes Volk, dessen Handlungsunfähigkeit als Satire erzählt wird.
Gefangen in Kunsthaftigkeit
Diese Mischung aus plakativen Bildern, stilisiert kontrastreichen Farben (Schwarz, Weiß, Rot) samt verfremdender Ausstattung ist durchaus typisch für Andreas Kriegenburg, der damit bereits am Thalia Theater Hamburg experimentiert hat. Es sind oft seine anstrengenderen Arbeiten, und auch diese „Judith“ gerät nach dem interessanten Auftakt zunehmend zäh: gefangen in ihrer Kunsthaftigkeit, auf Intensität zielend, die schon früh kaum noch zu steigern ist. Sich allzu vieler Bilder bedienend.
Dabei schaffen es die Schauspieler, den beiden Hauptfiguren eine große Glaubwürdigkeit zu verleihen. Alexander Khuon spielt seinen Holofernes als Tyrann mit besonderem Charme, der stets unberechenbar zur Gewalt neigt. Katharina-Marie Schubert weiß die Ambivalenzen ihrer Judith, Mädchenhaftigkeit wie Entschlossenheit, ganz selbstverständlich zu vereinen.
Beider finaler Begegnung ist eine Bewegungschoreografie, die Ausführung eines sehr körperlichen Duells, aber ohne psychologische Herleitung. Man versteht, warum Kriegenburg die Erhabenheit des biblischen Mythos bröckeln lässt wie den kalkigen Gips, mit dem die Gesichter geweißt sind. Judith bleibt eine Frau, getrieben von zwiespältigen Gefühlen, die am Ende wie von Ekel gezeichnet scheint, womöglich eine Heldin zu sein. Nichtdestotrotz produziert die Inszenierung beim Entmythologisieren des Heldischen ihren eigenen Staub.
■ Wieder 21., 29. 3., 11., 17., 25. 4., jeweils 20 Uhr, DT-Kammerspiele