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Archiv-Artikel

Nationales Interesse

Die Außenpolitik des polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczyński ist moralisch-geschichtlich fundiert

AUS WARSCHAU JENS MATTERN

Zur Adventszeit soll nun in einer Abtei im saarländischen Mettlach gelingen, was im Sommer platzte: ein Treffen zwischen den Staatsoberhäuptern Frankreichs, Deutschlands und Polens. Wegen einer „gesundheitlichen Indisposition“ hatte Staatspräsident Lech Kaczyński im Juli den 7. Gipfel des Weimarer Dreiecks mit Jacques Chirac und Angela Merkel kurzfristig abgeblasen.

Schuld am Unwohlsein war die taz-Satire „Polens neue Kartoffel“, die hohe Wellen schlug. Außenministerin Anna Fotyga verglich damals die Zeitung mit dem Nazi-Organ Stürmer. Danach sorgte im August die Vertriebenenausstellung „Erzwungene Wege“ unter der Regie von Reizfigur Erika Steinbach für scharfe Töne aus Warschau.

Die Aufregung hat sich seitdem gelegt. Jaroslaw Kaczyński, Premier, Chefstratege des Zwillingspaktes und der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), traf Merkel bereits zu einem verlängerten Mittagessen und zur Krisenentschärfung Ende Oktober in Berlin.

Doch um die beiden alten Kritikpunkte an Deutschland hat sich nichts verändert: Die Vertriebenenchefin und CDU-Abgeordneten Erika Steinbach verfolgt weiter ihr „Zentrum gegen Vertreibungen“, für das sich letzte Woche auch die bayerische SPD starkmachte. Auch will die Bundesregierung nicht die Entschädigungsforderungen der „Preußischen Treuhand“ mit Bundesgeldern zur Ruhe bringen.

Zum anderen wird die geplante Ostsee-Gaspipeline von Russland nach Deutschland als ein feindlicher Energiepakt der beiden Nachbarländer gesehen. Kanzlerin Merkel, die mit Lech am Kamin über den Zauberberg parlierte, ist bei den Kaczyńskis allerdings recht gut angeschrieben. Medienwirksam setzte sie sich von Putin-Freund Gerhard Schröder mit dem Versprechen ab, bei Reisen nach Moskau stets in Warschau zwischenzulanden.

Schwerpunktthema der Gespräche im Saarland sollen allerdings die derzeitigen Probleme sein, die Warschau mit Moskau hat: Das polnische Veto gegen das Partnerschaftsabkommen mit Russland. Dem Gipfeltreffen schenkte die polnische Öffentlichkeit bislang jedoch keine Beachtung. Überhaupt wird die Außenpolitik von den beiden Kaczyńksis vernachlässigt. Im polnischen Außenministerium herrscht nach Aussagen von Insidern große Verunsicherung, da das „rote Amt“ von ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern gesäubert wird – 16 Botschafterposten sind darum vakant. Den einflussreichen Posten des EU-Botschafters ließ die Regierung von Juli bis November unbesetzt. Lech Kaczyński kündigte in einem heute erscheinenden Interview bereits Unbeweglichkeit an. Seine Argumentation: „Solidarität“ haben Frankreich und Großbritannien missen lassen, als Polen 1939 von Deutschland angegriffen wurden. „Solidarisch“ war dagegen die polnisches Gesellschaft in den 80ern im Kampf gegen die vom Kreml gesteuerte Obrigkeit. Durch diese moralisch-geschichtliche Perspektive stehen andere EU-Länder in einer Bringschuld, wenn Polen gegen Russland Forderungen erhebt.

Bestätigt wird Kaczyńskis skeptische Haltung gegenüber Russland durch die aufsehenerregenden Morde und Vergiftungen von putinkritischen Russen. Hinzu kommen neueste Erkenntnisse des polnischen Geheimdienstes: Die Veterinärpapiere, die zum russischen Importverbot von Fleisch aus Polen führten, seien von russischer Seite gefälscht worden.

In dieser Frage ist vielleicht ein Einlenken Russlands zu erwarten. Nicht jedoch im zweiten Punkt, auf dem sich Polens Veto gegen ein Partnerschaftsabkommen mit Moskau stützt. Zur Unterzeichnung einer Energie- Charta will sich das Land mit seinen riesigen Gas- und Ölvorkommen nicht zwingen lassen, so die Einschätzung von Grigorij Jawlenski, Chef von Russlands liberaler Partei Jabloko. Jawlenski meinte vergangene Woche in Warschau, dass höchstens eine Teilunterzeichnung der Charta möglich sei.

Ein auf konkrete Ergebnisse orientiertes und nicht auf Symbolik orientiertes Gespräch mit Lech Kaczyński wird darum nicht leicht im Saarland. Dabei hat die deutsche EU-Präsidentschaft mit dem Titel „Europa gelingt gemeinsam“ ehrgeizige Ziele für 2007 gesetzt: eine Energiestrategie für Europa und die Einführung der EU-Verfassung für 2009. Die Kaczyńskis lehnen die EU-Verfassung bislang ab. Sie verstoße gegen die „nationalen Interessen“. Ein von Kaczyński oft gebrauchtes Argument. Neben dem Wort „Solidarität“.