Spitzenkräfte sind schuld

Betr.: „Rätsel um vorgeführten Kevin“, taz bremen vom 16. 2., „Familienrichterin kritisiert Jugendamt“, taz bremen vom 9. 2. Betrachten wir nun nüchtern, was der Untersuchungsausschuss bisher zum Fall des Systems der Bremer Kinder- und Jugendhilfe ans Licht gebracht hat: 1. Das System ist systematisch kaputt gespart worden. 2. Die Strategien und Konzepte des Sparens erweisen sich als nicht Ziel führend, produzieren enorme gesellschaftliche Folgekosten und sind zum Teil gesetzeswidrig. 3. Die Organisation zeigt sich chaotisch, die Kommunikation erscheint gestört, handwerklich gibt es enorme Mängel. 4. Leitungen und Mitarbeiter beschreiben sich als unzureichend fortgebildet, überfordert, desorientiert, demotiviert, krank oder ausgebrannt. Es gibt genügend Engagement und Kompetenz im System, dieses kann sich jedoch nicht durchsetzen. Vertrauen, Motivation und Wertschätzung werden im System systematisch verbrannt. 5. Es gibt weder eine funktionierende Kontrolle noch eine Evaluation. 6. Die Spitzenbeamten und die verantwortlichen Politiker haben von all dem gewusst oder mussten es wissen. Es gab und gibt nachweislich jede Menge detaillierte Hinweise, Anzeigen, Kritiken und Warnungen von innen und außen. Das alles wurde nicht gehört, nicht beantwortet, schöngeredet, unterdrückt oder im System bis zur Unkenntlichkeit wegdiskutiert. Stattdessen wurden teure fachfremde Berater dafür bezahlt, ein dysfunktionales System wider alle Regeln guter Organisationsentwicklung durchzusetzen und ideologisch zu rechtfertigen. 7. Man hat sich selbst belogen und die Öffentlichkeit über die wahren Zustände getäuscht. Werden die verantwortlichen Spitzenpolitiker sich zu ihrer Verantwortung bekennen und sich für den Trümmerhaufen, den sie hinterlassen, entschuldigen? Das würde den Weg frei machen für einen Neuanfang, die Aufräumarbeiten werden allerdings Jahre dauern. JAN BLECKWEDEL, Bremen

Auch Senatsdirektoren und Staatsräte hatten ihre Hände im Spiel, wenn es darum ging, die Kosten der Jugendhilfe zu drücken und Stelleneinsparungen durchzusetzen. Niemals hätte ein Amtsleiter dies von sich aus gewagt. Alle haben ihren Amtseid geleistet, versprochen, die Gesetze zu achten und Schaden abzuwenden. Das genaue Gegenteil haben sie getan: gesetzliche Bestimmungen durch eigene Anweisungen ausgehebelt. Ihre Fürsorgepflicht gegenüber den eigenen Mitarbeitern völlig vergessen, sie vielmehr zu Straftaten im Amt nicht nur verleitet, sondern sogar genötigt. Den sozialpädagogischen Fachkräften haben sie im Widerspruch zum Gesetz die Fachkompetenz zur Entscheidung über die Hilfegewährung entzogen und fachfremden Mitarbeitern übertragen. Der gesetzliche Anspruch der Eltern auf Hilfe in erzieherischer Not wurde mit einem Federstrich beseitigt. Der Datenschutz – die Grundlage jeder vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Hilfesuchenden – wurde den wirtschaftlichen Interessen bedenkenlos geopfert. Jede fachliche Kommunikation zwischen Amtsleitung und Fachkräften wurde total unterbunden. Alle Hinweise auf rechtswidrige Abläufe im Amt wurden stets ignoriert. Alles dies geschah nicht erst jetzt, sondern seit mindestens 1991. REINHOLD BECKMANN, ehemaliger Sozialarbeiter im Amt für Soziale Dienste, Bremen