: Ein Feuerwerk und viele Nadelstiche
30 Jahre Anti-Atom-Protest in Gorleben: Die Bürgerinitiative verbittet sich das Gerede vom bröckelnden Widerstand. Zum Feiern kommen trotzdem nur zweihundert Sympathisanten. Sogar das Verhältnis zur Polizei ist differenzierter geworden
aus GORLEBEN FRIEDERIKE GRÄFF
Der Taxifahrer hat einmal im Wachdienst von Gorleben gearbeitet. „Eigentlich bin auch gegen Atomkraft“, sagt er. „Aber es gab gutes Geld und sonst ist hier nicht viel zu verdienen.“ Trotz der langen Schichten ist es den Demonstranten manchmal gelungen, auf den Schornstein zu kommen. Dann haben sie einen Korb heruntergelassen, damit die Wachleute etwas zu essen und trinken hineintun. „Aber wir haben sie ausgehungert“, sagt der Taxifahrer. „Sonst wären sie nicht runtergekommen.“
„30 Jahre Widerstand und kein bisschen leise“ steht auf der Einladung, um 13 Uhr an die Atomanlagen Gorleben zu kommen. Die Geburtstagstorte ist aus Beton, hat einen Meter Durchmesser und hängt an der Schaufel eines Treckers. Eine Handvoll Polizisten umstellen sie und diskutieren mit einer Handvoll Demonstranten darüber, ob es sich um ein Blockadeobjekt handelt. Darf die Torte auf den Boden? Darf die Polizei den Kuchen umstellen? Der Kompromiss lautet: Alle erst mal einen Schritt zurück. Der Fahrer lässt die Schaufel ab, die Torte sitzt. Der Trecker rückt ab und die Demonstranten stecken Silvesterraketen in die leeren Weinflaschen, die in die Torte eingelassen sind. 30 mal zischt es gen Castorhalle, 30 Böller, für jedes Jahr einer. Ein Feuerwerk für den Widerstand.
Auf einem Podium vor dem Eingang zum Zwischenlager steht Klaus der Geiger, ein hagerer Mann in Lederhose. „Wollt ihr noch ein Liedchen?“, fragt er ins Publikum. Es sind vielleicht zweihundert Leute gekommen, viele Grauhaarige, viele Paare. „Bullen hauen“, schreit eine Frau. „Manchmal macht man auch mal Ärger, manchmal macht man auch Krieg“, singt Klaus der Geiger. „Bullen hauen ist verboten, Bullen hauen ist nicht fein“, singt er und dreht sich um zu den Polizisten hinter ihm. „Das müsste euch freuen.“ Die Polizisten sagen nichts.
„Es wäre schön, wenn ein paar Leute zum Erkundungsbergwerk gingen“, ruft dieselbe Frau. Auf dem Weg zum Erkundungsbergwerk kommt man an einem Schild vorbei, das ein bisschen Moos angesetzt hat: „Gottesdienst 14 Uhr“ steht darauf, dann biegt man nach links ab und steht vor einem grünen Zaun. Vom Bergwerk ist ein Turm zu sehen, der mit seinen weißen Abdeckplatten aussieht wie ein Raiffeisen-Silo. Auf die Außenmauer des Geländes sind mittags Demonstranten gestiegen, haben ein Transparent entrollt und Anstalten gemacht, dort zu picknicken. Bis die Polizei sie „vom Gelände begleitet hat“, so formuliert es der Einsatzleiter.
Der Einsatzleiter ist ein freundlicher Mann in blauer Uniform und er sieht auch den Einsatz in einem freundlichen Licht. „Der Junge, der die Torte abgesetzt hat, gehört zu meinem Bekanntenkreis“, sagt er. Einige der Demonstranten auch, kein Wunder, wenn man im Landkreis wohnt. Der Einsatzleiter war schon früher hier, zu Einsätzen. Dann hat er sich in eine Frau aus der Gegend verliebt und ist hierher gezogen. Die örtlichen Kollegen, sagt er, würden in den Zeiten der Castor-Transporte zu Verkehrskontrollen geschickt statt zu den Zügen.
Er sei nicht zwangsläufig für Atomkraft, sagt der Einsatzleiter, nur weil er hier seine Aufgabe erfülle. Er sagt, dass es sicher Kollegen gebe, die über die Stränge schlügen und dass es seine Pflicht sei, dem nachzugehen. Und dass die Kollegen über ihm sagten: Das ist Herr Constabel, der pflügt eine gerade Furche. Es sei „eine andere Kultur hier entstanden“, sagt er. Heute, als die Demonstranten die Feuerwerkskörper in der Betontorte zünden wollten, hätte die Polizei das hingenommen. „Wir haben in unserem Rahmen zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen“, sagt er und das klingt ein bisschen merkwürdig. Wenn man Herrn Constabel fragt, ob man sich als Polizist, der zugleich Atomkraftgegner sei, vom Einsatz befreien lassen müsse, fragt er, was denn wäre, wenn sich Polizisten dann auch bei Demonstrationen oder Vergewaltigungen befreien lassen wollten. „Ich kann nicht aufhören, Polizeibeamter zu sein“, sagt er. „Was soll ich denn sonst machen?“
Vor dem Zaun steht eine Männergruppe in praktischen Jacken. „Es ist wie ein Familienfest“, sagen sie. „Aber es ist gewaltig eingeknickt. Und das Liedersingen fehlt heute völlig.“ Gewaltig eingeknickt, das bedeutet zwei-, dreihundert Leute, die den 30. Jahrestag feiern. Dieter Metk, Beirat im Vorstand der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, wird ein bisschen zornig, wenn es um den angeblich bröckelnden Widerstand geht. „Wir zeigen, dass der Widerstand über 30 Jahre hinweg nicht zu zerschlagen ist“, sagt er. Und er findet, dass ihnen wieder ein paar Nadelstiche gelungen seien. Ein Nadelstich wie die Tortenattrappe aus Rasierschaum und Styropor, die sie auf die Polizisten geworfen haben. „Das war ganz nett.“
„Es hat sich ein bisschen differenziert“, sagt Metk über die Polizisten, aber es gebe immer noch diejenigen, denen es egal sei, ob ihnen Hooligans oder Alte vor den Knüppel kämen. Und dass auch Beamte „Nein“ sagen könnten. So wie die Polizistin, die ihn mit wegtrug. Hinterher zeigte man ihn an und die Polizistin sagte vor Gericht gegen ihn aus. Später hat er sie noch einmal wieder getroffen bei einer Anti-Castor-Demonstration. „Im Einsatz?“, hat er sie gefragt. „Nee, zivil“, hat sie geantwortet.
Im Schuppen des Gasthofs Lühr, in Breselenz, stehen ein paar der Jüngeren und lassen sich fotografieren. Man kann im Heu sitzen, mit Thermoskanne oder Megaphon. Oder seine Hände in eine Papp-Blockade stecken, die vor einem Trecker aufgebaut ist. An dem hängt ein altes Schild, auf das jemand ein bisschen ungelenk geschrieben hat: „Radioaktive Strahlung? Kein Grund zur Sorge! Sie sollten nur verzichten auf Essen und Trinken“. Einer der Jüngeren nimmt die Brille ab: „Wir müssen ernst gucken“, sagt er. „Wir sind doch die Guten“, sagt der andere. Sie gehören zu „x-tausend mal quer“, einem bundesweiten Netzwerk von Anti-Atomkraft-Aktivisten, und kommen schon seit zehn Jahren. „Es hängt mit der eigenen Würde zusammen“, sagt einer. „Ich würde mich für tot halten, wenn ich nicht mehr protestierte. Und ich glaube, dass der Widerstand einen Wert hat. Die Atomlobby guckt schon hin, was hier passiert.“
Ein Foto kostet drei Euro, 14 Aufnahmen hat der Fotograf bisher gemacht. Das Geld ist für die Rechtshilfe bestimmt, genauso wie die Einnahmen aus dem Kalender, den er für die Bäuerliche Notgemeinschaft fotografiert hat. „Wir fühlen uns nackt“, sagt eine der Bäuerinnen, und so habe man sich eben auch fotografieren lassen. „Natürlich ging es auch ums Geld“, sagt eine andere. Der Kalender verkauft sich gut. Ein Paar setzt sich mit Megaphon ins Stroh hinter ein Polizeiabsperrungsband und lächelt sich an. „Total toll“, ruft die Bäuerin. Sie findet nicht, dass die Polizei immer zum Gelingen der Veranstaltung beiträgt. „Meine Kinder haben beim ersten Mal geheult“, sagt der Bauer neben ihr. „Aber jetzt sind sie abgebrüht.“
Drinnen, im Gasthof Lühr, werden jetzt Reden gehalten. Es ist voll geworden an den langen Tischen, auf denen Widerstands-X aus Stroh liegen, als ein Aktivist in Jeans und kariertem Hemd auf die Bühne steigt. Er steht vor einer Fototapete mit einer herbstlichen Waldlandschaft und gratuliert. Aber vor allem kritisiert er die eigene Fraktion, die „links und radikal glaubte, die Sache am Kneipentisch in Göttingen“ besser einschätzen zu können als die Bürgerlichen vor Ort. Er sagt, dass der Widerstand weitergehen müsse und das ist das erste Mal an diesem Tag, dass jemand nach vorn guckt. Später, bei der „Plauderei aus dem Nähkästchen“, wie das letzte Podium genannt wird, wird Marianne Fritzen, Gründerin der Bürgerinitiative und mittlerweile eine alte Dame, zwei sehr einfache Dinge sagen: „Es gibt eine Menge Möglichkeiten, die wir noch haben.“ Und: „Wir stehen nicht auf der Verliererseite, auch wenn wir die Anlagen da stehen haben.“