: Der Trick mit den Gesamtschulen
In Niedersachsens Landeshauptstadt Hannover sollen Haupt- und Realschulen zugunsten von Gesamtschulen geschlossen werden. Die meisten Betroffenen haben davon aus der Zeitung erfahren
VON KARIN CHRISTMANN
Hannovers Lehrern ist am Samstag vermutlich das Frühstücksbrötchen im Hals stecken geblieben: Aus der Zeitung haben einige erfahren, dass ihre Schulen von Schließung bedroht sind. Durch eine Indiskretion war in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) zu lesen, was erst nächste Woche der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte: die große Neuordnung der Hannoveraner Schullandschaft. Hannovers Schuldezernent, Harald Böhlmann, nennt die Darstellung „weitestgehend richtig“ – und sieht sich nun einer aufgeregten Debatte gegenüber.
Im Raum steht die Schließung von fünf Haupt- und Realschulen und der Ausbau zweier Integrierter Gesamtschulen. Damit will die Stadt darauf reagieren, dass immer weniger Eltern ihre Kinder zur Hauptschule schicken, die Gesamtschulen aber jedes Jahr rund 200 Anmeldungen ablehnen müssen. Von Schließungen betroffen sind demnach die Hauptschulen Ahlem, Kronsberg und die Peter-Ustinov-Schule, außerdem die Freiherr-vom-Stein-Realschule und die Haupt- und Realschule im Fössefeld.
Im Gegenzug zu den Schließungen sollen die Integrierten Gesamtschulen List und Kronsberg ausgebaut werden und in Zukunft sieben statt bisher vier Klassen pro Jahrgang haben. Schuldezernent Böhlmann betont jedoch, die Pläne seien nichts weiter als eine Diskussionsgrundlage. In der Tat dürfen im Arbeitskreis Schulstrukturreform noch alle Betroffenen mitreden, bevor der Rat entscheidet – frühestens im Sommer. Der schulpolitische Sprecher der SPD-Ratsfraktion Michael Klie machte sich am Samstag in einem Interview zu dem HAZ-Bericht für die Reformpläne stark. Hier wolle jemand „durch Gerüchte Fakten schaffen“, kommentiert Rüdiger Heins, Schulleiter der Hauptschule Kronsberg.
Nun liegen die Pläne vor und die Diskussion ist eröffnet. Die enorme Nachfrage nach Gesamtschulplätzen bestätigt auch der Schulleiter der IGS List, Oswald Nachtwey. Seine Schule soll möglicherweise eine Außenstelle in den Räumen der heutigen Haupt- und Realschule Fössefeld erhalten – die liegt jedoch am anderen Ende der Stadt. Der Grund für die bizarre Konstruktion: Seit 2003 verbietet das niedersächsische Schulgesetz die Neugründung von Gesamtschulen. Daher kann Hannover nicht einfach eine IGS Fössefeld gründen, sondern muss die Räume einer anderen IGS zuordnen. In erster Linie kommen dafür kleine Standorte wie List und Kronsberg in Frage. Ein leeres Gebäude am anderen Ende der Stadt sei für seine Schule aber auf keinen Fall eine Lösung, sagt Schulleiter Nachtwey.
Seine Kollegin Anneli Keßler, Schulleiterin der IGS Kronsberg, ist anders als Nachtwey von den Plänen angetan. Schon lange wolle ihre Schule eine gymnasiale Oberstufe einrichten, sagt Keßler, um „einen Bildungsgang aus einem Guss“ für potentielle Abiturienten anzubieten. Diese Chance bietet sich jetzt mit dem möglichen Ausbau der IGS.
Während das Schuldezernat auf die rückläufigen Bewerberzahlen der Hauptschulen hinweist, sehen die Schulleiter der Haupt- und Realschulen keinen Grund zur Sorge. Angela Paulus, Schulleiterin der Freiherr-vom-Stein-Schule, sagt: „Einen akuten Schülermangel haben wir hier wirklich nicht.“ Auch aus pädagogischen Gründen stellen sich die Hauptschullehrer gegen die möglichen Schließungen: „Kleine Hauptschulen, die in den Stadtteil integriert sind, sind das beste für die Schüler“, sagt Wolfgang Kargel, Leiter der Peter-Ustinov-Schule.