Der Duft des Widerstands

Mit prominenter Hilfe kämpft eine Bremer Schule für den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung. Jüngstes Projekt: eine Verfilmung von Süskinds „Parfum“, mit Standkamera

VON KAI-ERIK VON AHN

Aufsehen erregten die SchülerInnen der zehnten Klasse an der Integrierten Stadtteilschule Hermannsburg im Bremer Problemstadtteil Huchting schon öfter. Mit ihren Kooperationsklassen, in denen seit 1988 Kinder mit und ohne Behinderung in einigen Fächern gemeinsam unterrichtet werden. Mit der Ausdauer, mit der sie sich dem behördlich geplanten Ende des Experiments widersetzten. Mit den Prominenten, die sie als UnterstützerInnen mobilisierten. Und mit den Projekten, die sie mit deren Hilfe seither auf die Beine stellen.

Das jüngste ist ein Film, besser: eine Verfilmung. Patrick Süskinds „Das Parfum“, aber nicht die Kinoversion, sondern die selbst gedrehte. Aufgenommen mit einer Standkamera, im Klassenzimmer, vor einem blauen Tuch, damit sich später unterschiedliche Hintergründe einsetzen ließen. In den Hauptrollen: NeuntklässlerInnen mit und ohne Behinderung, in den Szenen dazwischen, als zeitraffende ErzählerInnen, Profis: SchauspielerInnen, KünstlerInnen, TheaterdirektorInnen, LiteratInnen. 61 Minuten lang ist der Streifen geworden, am Montagabend hatte er im Bremer Kino 46 Premiere.

Noch vor zehn Jahren wollte die Schulbehörde die Kooperationsklassen der Schule Hermannsburg schlicht abschaffen. Neue Räume waren nötig, die Stadt hatte kein Geld. SchülerInnen und LehrerInnen besetzten die Schule. Um gegen die Trennung der kooperierenden Klassen zu protestieren, schrieben die „Nashörner“, wie sich die SchülerInnen nannten, kurzfristig alle nur noch 5er und 6er.

Aus dieser Zeit stammt auch der Kontakt der „Nashörner“ zur Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Der immer noch gepflegte Briefwechsel mit ihr füllt ganze Hefter. Er sei längst „Teil des gelebten Unterrichts“, sagt Sonderschullehrer Werner Vaudlet. Umfangreicher noch ist die Gedichtsammlung der Schule. Vom Übersetzer Harry Rowohlt über den Bremer Rechtsanwalt und Kinderbuchautor Heinrich Hannover bis zur deutschen Schriftstellerin Leonie Ossowski reicht die Liste der UnterstützerInnen, die eigens für die Schule geschriebene Lyrik beigesteuert haben, insgesamt mehrere Hundert Gedichte.

„In Geschichte, Kunst, Politik und Deutsch“, sagt Klassenlehrer Harry Eisenach, „lehren wir den Unterrichtsstoff in Projektform“. Die Ergebnisse der kleineren und größeren Arbeiten dokumentiert Das Nashorn. Das aktuelle Heft der Publikation trägt bereits die Nummer 59 – und ein von Gerhard Richter gestaltetes Cover. „Für den Umschlag versuchen wir jedes Mal einen neuen Künstler zu gewinnen“, sagt Werner Vaudlet: „Georg Baselitz ist auch schon darunter.“

Auch an den Dreharbeiten für „Das Parfum“, dem ersten Film-Projekt der Schule, beteiligten sich 17 Promis, darunter der Jazztrompeter Ulli Beckerhoff. Der Umgang mit ihnen, sagt die 15-jährige Britta Krawczyk, sei für sie inzwischen „so normal, wie der mit den behinderten Mitschülern“.

Für die von SchülerInnen gespielten Filmszenen gilt: Kostüme und Accessoires spielen nur eine untergeordnete Rolle und lassen viel Platz für die Charaktere der AkteurInnen, das Gleiche gilt für die Sprache. Ein eher punkiger Schüler mutiert problemlos zum Edelmann, Spielfreude und witz sind wichtiger als Werktreue. Auf diese Weise verschwinden die Ungleichheiten zwischen behinderten und nicht behinderten Schauspielern. Deren wachsendes Selbstbewusstsein gegenüber ihren KollegInnen ohne Handicap sei unübersehbar. Was zählt, ist die Überzeugungskraft des Auftritts, „selbst wenn es nur vier Sätze sind“, sagt Vaudlet.