piwik no script img

Archiv-Artikel

Riemann’sche (T)Räume

Die iranische Mathematikerin Maryam Mirzakhani (39) ist als erste Frau überhaupt mit der „Fields-Medaille“ ausgezeichnet worden. Die mit gut 10.000 Euro dotierte Auszeichnung gilt als höchste Mathematiker-Ehrung. Mirzakhani lehrt an der Stanford-Universität in Kalifornien.

Zuletzt machten immer wieder Mathematikerinnen von sich reden. 2007 bekam zum Beispiel die Russin Olga Holtz eine Gastprofessur an der TU Berlin – und eine Million Euro obendrauf. In Russland werden mathematikbegabte Grundschüler besonders gefördert, man orientiert sich am Curriculum der Pythagoreer (aus dem 6. Jhd. vor Chr.), wobei die Junggenies sich irgendwann zwischen angewandter und freier Mathematik entscheiden. Erstere führt sie in den militärisch-industriellen Komplex, Letztere in die Boheme.

Mirzakhani wurde an der renommierten Sharif-TU in Teheran ausgebildet. Den Preis bekam sie für ihre Weiterentwicklung der „Riemann’schen Flächen“. Der Göttinger Bernhard Riemann hatte diese im 19. Jahrhundert so erklärt: Mehrere (eventuell unendlich viele) komplexe Zahlenebenen werden übereinandergelegt, mit bestimmten Schnitten versehen und dann längs dieser Schnitte zusammengeklebt. Mirzakhani rückte diesen „Flächen“ mit der algebraischen Geometrie, der Topologie und der Wahrscheinlichkeitstheorie zu Leibe.

Für den Schriftsteller Thomas Pynchon sind die Riemann’- schen Flächen ein ganzes Land: „Riemannien“, das er in seinem Roman „Gegen den Tag“ durch eine Mathematikerin erkunden ließ. Dessen Topografie eröffnete ihm zwei verschiedene Ansichten. „Die vierdimensionalen Landschaften werden mathematisch als Graphen der Riemann’- schen Zeta-Funktion behandelt. Darstellungstechnisch wird die Landschaft so in einen ‚Realteil‘ und einen ‚Imaginärteil‘ geschieden. Berge und Täler dieser komplexen Landschaft verkehren sich, je nachdem, ob eine reale oder imaginäre Sicht der Dinge gewählt wird“, heißt es im Internetmagazin Glanz@Elend. Pynchon wählte die imaginäre Sicht. Ob Mirzakhani sich bei ihren Riemann’schen (T)Räumen für die reale Sicht der Dinge entschieden hat, lassen die Pressemitteilungen offen. HELMUT HÖGE