: Der Spielplatz der großen Jungs
VON LUTZ DEBUS
Ein Krachen wie ein Donnerschlag aus nächster Nähe. Alle Frequenzen furchtbar laut, trotz Ohrenschutz. Feuer blitzt streichholzlang aus dem Magazin. Der geriffelte Griff der Waffe gräbt sich bis zur Schmerzgrenze in den Handballen. Mit beiden Händen muss festgehalten werden. Trotzdem ist es so, alt trete jemand mit voller Kraft gegen den Brustkorb. Die 44er Magnum ist die durchschlagsstärkste Handfeuerwaffe der Welt. „Wenn Du 15 Mann hintereinander stellst und den vordersten erschießt, fallen alle 15 tot um.“
Martin W. ist Waffenliebhaber und zeigt stolz eines seiner spektakulärsten Sammlerstücke. Dünne Mauern taugen als Deckung bei diesem Schießgerät nicht. In den USA wird die Waffe auch eingesetzt um Autos zu stoppen. Das Projektil, schwärmt W., könne einen Motorblock durchdringen. „Mit einem Loch im Zylinder wird die Weiterfahrt schwierig.“
Einige Magazine sind leer geschossen und Martin W. geht zu den Zielscheiben. Heute hat er seinem Bekannten zum Schießstand in einem Waldstück nahe der Ruhr mitgenommen, um ihm sein Hobby zu zeigen. Einen halben Meter Durchmesser haben die Pappen, die an ein Holzbrett getackert sind. „Du schießt ja wie ein Profi!“, scherzt W. Tatsächlich hat der Bekannte aus 25 Metern Distanz einige Treffer ins Schwarze platziert.
Wieder zurück im Unterstand packt W. ein weiteres „Schätzchen“ aus. Aus einer Steppdecke wickelt er eine Maschinenpistole. „Sieht ja aus wie die vom Firmenschild der RAF“, staunt sein Freund. W. erklärt: „Das ist eine MP 5.“ Tatsächlich haben die Terroristen sie in ihrem Logo abgebildet. „Aber vorwiegend haben die deutschen Polizisten am Flughafen diese MP von ihrer Schulter hängen.“ Natürlich sei das hier präsentierte Modell für den Schießsport umgebaut worden.
Laut deutschem Waffenrecht dürfen Privatpersonen keine vollautomatischen Waffen benutzen. Jeder einzelne Schuss, referiert W., müsse durch den Abzug abgefeuert werden. Solch eine Pistole nenne man Halbautomat. Für den Waffennarr war es nicht einfach, eine Genehmigung für den Erwerb der MP 5 zu bekommen. Aber immerhin, es ging: Bevor die alte Regierung unter Schröder das Waffengesetz liberalisierte, wäre es für Sammler wie ihn unmöglich gewesen eine Maschinenpistole zu erwerben. Waffen, die wie Kriegsgerät aussehen, durfte man früher überhaupt nicht kaufen.
Mit schnellen Bewegungen drückt W. ein gutes Dutzend Patronen in das gebogene Magazin. „Es würden 30 hinein passen. Aber wir wollen ja noch etwas von den Zielscheiben übrig lassen.“ Vorsichtig legt der Bekannte die Waffe an die Schulter, visiert, schießt ein paar Mal. Dann nimmt sich W. die Maschinenpistole. Der Zeigefinger flattert über den Abzug. Eine Salve durchsiebt die Pappe. W. nimmt seine Ohrenschützer vom Kopf und erklärt, was geschehen ist. „Ein erneutes Zielen ist nach dem ersten Schuss so schnell nicht möglich. In der Regel treffen die weiteren Projektile immer weiter oben. Für Präzisionsschützen ist diese Waffe darum auch uninteressant.“ Aber für ihn als Sammler sei es natürlich schön, sein teuerstes Stück auch mal benutzen zu können.
Was macht den Reiz aus, Waffen zu sammeln? „Es ist wie mit Briefmarken“, sagt W. – und muss selbst lächeln über den Vergleich. „Man möchte die wertvollsten und seltensten Exemplare sein Eigen nennen.“ Natürlich gehe es auch um das Kaliber, um die Kraft. Sonst könne er ja auch mit Kleinkaliberwaffen schießen.
W. hebt vom Boden eine kleinkalibrige Patronenhülse auf und hält sie gegen eine, die vor wenigen Minuten aus seiner MP ausgeworfen wurde. Fast doppelt so dick ist seine Hülse. „Kleinkaliber ist was für zierliche Frauen“, grinst er. Er selbst ist seit seiner Kindheit ein Waffennarr. Natürlich, fast alle Jungs spielen Cowboy. Aber bei ihm hat diese Leidenschaft nie aufgehört. Im Gegenteil: Als er erfuhr, dass er in Folge einer Krankheit nicht bundeswehrtauglich war, brach für W. eine Welt zusammen.
Dabei geht es ihm, das ist W. wichtig zu betonen, nicht ums töten. „Ich kann keiner Fliege etwas zu Leide tun. Jäger, die kleine Rehe abschießen, verabscheue ich.“ Und dann kommt wieder so ein Vergleich, der für manche Ohren unangemessen verharmlosend klingen würde. Letztlich, sagt W., handele es sich beim Schließen um ein Hobby wie Kegeln. Ein teures Hobby, das gibt er wohl zu. Aber als Inhaber eines mittelständischen Betriebes könne er sich diese Leidenschaft durchaus leisten. Hier am Schießstand sei er aber nicht der Reichste. Mancher Schütze besitze eine Firma mit hunderten von Angestellten.
Ein Blick in die Baracke neben den Schießständen lässt zumindest auf den ersten Blick anderes vermuten. Es sieht eher ärmlich aus. An drei Tischen sitzen etwa 20 Männer zusammen. Von der Decke strahlt eine Leuchtstoffröhre, taucht den Raum in fahles Licht. Blauer Qualm, mehr von Zigarren als von Zigaretten, liegt in der Luft. An den Wänden hängen ausgestopfte heimische Tiere. „Hier finden auch Prüfungen für angehende Jäger statt“, erklärt W.
Hinter der Theke sitzt ein korpulenter Mann im Rentenalter. Er verkauft Getränke und Munition. Streng schaut er durch seine dicken Brillengläser einen neuen Gast an. „Nur auf die Scheiben zielen.“ Als der Ermahnte etwas fragend guckt, ergänzt der Alte: „Letztens haben ein paar Knallköpfe Feuerlöscher und Fernseher mitgebracht und als Ziel aufgestellt. Riesensauerei.“ Den Vorfall hat der Verantwortliche am Schießstand sofort zur Anzeige gebracht, erzählt der Herr über die Munition. Die Rowdies seien ihren Waffenschein sofort los gewesen. Nachdem er Ausweis und Waffenschein seines neuen Kunden geprüft hat, gibt er ihm eine Packung Patronen, kassiert 40 Euro.
An einem der Tische hockt eine bunte Truppe verschiedener Männer. Einige tragen Khaki, andere grobkarierte Holzfällerhemden. Ein krachlederner Knickerbockerträger mit Hirschhornknöpfen an der Jägerjacke sitzt am Kopf des Tisches, leert seine kleine Schnapsflasche in einem Zug. Die anderen am Tisch erzählen derweil von ihrem Hobby. Ein Mann mit schulterlangen Haaren berichtet von einem Versuch, auch eine Maschinenpistole zu bekommen. In einem Internetforum habe er jemanden ausfindig gemacht, der alte Weltkriegswaffen verkaufe. Als er bei dem jungen Mann zu Hause war, sei es ihm dann doch mulmig geworden. Der 20-jährige habe in einem Raum ein paar Quadratmeter von der Schlacht von Stalingrad orginalgetreu nachgebaut. „Mit Schützengräben und Stacheldraht. Das war ein echter Nazi.“ Da sei er ganz schnell wieder gegangen.
Ein anderer am Tisch mit grünem Kampfanzug schwärmt von seinem letzten Urlaub in den USA. „Da kann man auf speziellen Plätzen mit allem schießen, was sonst nur die Army benutzt.“ Raunend nicken die Anwesenden. In diesem Moment betritt eine Frau mittleren Alters den Raum. Jeans, wattierte Weste, streng zurückgekämmte braune Haare, ein langer Zopf. Sie eilt zu der Theke, kauft zwei Packungen Patronen, und geht ohne aufzublicken wieder nach draußen. Zwischen der Männergesellschaft in der Baracke und den weiblichen Anhängern des Schießsports herrscht offenbar Funkstille. Dass es Frauen gibt, die dieses Männer-„Hobby“ ausüben, scheint hier nicht jedem zu gefallen.
Zum Abschied dann schenkt W. seinem Bekannten die Zielscheibe. „Ich hoffe, Du glaubst jetzt, dass Schützen eigentlich ganz harmlos sind.“