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Archiv-Artikel

Fremdnützige Gewebespenden

Im Bundestag wird darüber diskutiert, ob auch nicht einwilligungsfähige Menschen künftig als Gewebespender zur Verfügung stehen sollen

Vor fast zehn Jahren, im April 1997, wurde das europäische „Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin“ zur Unterzeichnung aufgelegt. Dem Abkommen des Europarates ist Deutschland bis heute nicht beigetreten – zu groß waren hier die außerparlamentarischen Proteste. Sie galten und gelten vor allem den Regeln, die sogenannte Nichteinwilligungsfähige betreffen: Kinder, Altersverwirrte, Menschen mit geistiger Behinderung, KomapatientInnen. Gemäß Konvention sollen sie – unter bestimmten Voraussetzungen – für fremdnützige Forschung zur Verfügung stehen und auch zur Entnahme „regenerierbaren Gewebes“.

Die alten Instrumentalisierungspläne stehen nun wieder auf der politischen Agenda – eher unauffällig, im Entwurf für ein „Gewebegesetz“, das der Bundestag bis zum Sommer beschließen soll. Paragraf 8a billigt die fremdnützige Entnahme von Knochenmark für Transplantationszwecke. Solche chirurgischen Eingriffe setzen eine Vollnarkose voraus; sie gehen mit einem „nicht unerheblichen Risiko“ einher, erläuterte der Transplanteur Axel Haverich dem Nationalen Ethikrat, als der im September 2004 vorausschauend ein „Forum Bioethik“ zur Gewebeentnahme veranstaltete.

Trotz der Risiken sollen künftig auch Kinder und nichteinwilligungsfähige Erwachsene dazu bewegt werden, sich Knochenmark zugunsten von „Verwandten 1. und 2. Grades“ entnehmen zu lassen.

In die „Spende“ einwilligen sollen Eltern stellvertretend für ihre Töchter oder Söhne. Bei Volljährigen, die nicht in der Lage sind, „Wesen, Bedeutung und Tragweite der Entnahme zu erkennen und ihren Willen hiernach auszurichten“, würde ihr gesetzlicher Vertreter oder ein Bevollmächtigter entscheiden dürfen. Weitere Voraussetzung: Die Übertragung des Knochenmarks müsse nach ärztlicher Beurteilung geeignet sein, eine „lebensbedrohende Krankheit“ des bekannten Empfängers zu „heilen“. Wie man in solchen Fällen eine „Heilung“ sicher prognostizieren kann, sagt der Gesetzentwurf nicht.

Gegen die geplante Ermächtigung zur fremdnützigen Entnahme von Knochenmark wehren sich potenziell Betroffene und ihre Interessenvertretungen: In einer gemeinsamen Stellungnahme lehnen neun Behindertenverbände die Regelung kategorisch ab. Zu den UnterzeichnerInnen gehören unter anderem die Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung und die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe. Zur Begründung schreiben sie: „Stellvertretende Entscheidungen für Menschen, die nicht selbst für ihre Rechte eintreten können, haben sich einzig an deren Wohlergehen und nicht am Wohlergehen Dritter auszurichten.“

Außerdem kritisieren die Behindertenverbände wie auch die Bundesärztekammer, dass entnommene Gewebe, beispielsweise Augenhornhäute, Sehnen oder Herzklappen, weitgehend dem Arzneimittelgesetz unterstellt werden und als Arzneien gelten sollen, mit denen Handel getrieben werden darf. Dies bedeute, dass der menschliche Körper kommerzialisiert würde.

Einverstanden sind die Organisationen aber mit der Praxis, Dienstleistungen „materiell zu honorieren“, die mit der Entnahme, Aufbereitung und Übertragung menschlicher Zellen und Gewebe verbunden sind.

Der brisante Gesetzentwurf steht am kommenden Mittwoch im Bundestag auf dem Prüfstand. Dann veranstaltet der Gesundheitsausschuss eine öffentliche Anhörung von Interessengruppen und Sachverständigen.

KLAUS-PETER GÖRLITZER