: „Fachlich absoluter Nonsens“
taz: Herr Scherer, viele haben Angst davor, dass die kommunalen Bremer Kliniken Schritt für Schritt in eine Abhängigkeit von privaten Krankenhauskonzernen getrieben werden.
Hans-Eberhard Scherer, Kardiologe: Ich kenne hervorragend funktionierende Privatkliniken, die auch hervorragende Medizin machen. Unser derzeitiger Chefarzt für Kardiologie kommt aus einer solchen Klinik. Vor den Privaten habe ich nicht so eine Angst, die Löhne drücken sie beide. Aber die Privaten funktionieren wenigstens. Entscheidend ist, dass man die Leistungsträger motiviert. Sonst haben Sie nur Krieg im eigenen Hause, demotiviertes Personal. Man kann mit Sklaven Pyramiden bauen, das haben die Ägypter bewiesen. Aber man kann so kein Gesundheitswesen betreiben. Der Patient fühlt sich nur da wohl, wo das Personal engagiert arbeitet.
Was ist falsch an der Bremer Krankenhauspolitik?
Ganz grundlegend: Der fachliche und wirtschaftliche Sachverstand der Leistungserbringer in Bremen ist nicht integriert, sondern ausgegrenzt worden. Es geht ja darum, das riesengroße Klinikum Bremen-Mitte zu retten, das einen wahnsinnigen Investitions, Management- und Reformstau hat. Das ist ein Dinosaurier, der so nicht überlebensfähig ist. Wir wissen das seit Jahren. Das wird aber missbraucht, um fachliche Dinge neu zu strukturieren, die damit gar nichts zu tun haben und womit nur Kompetenz und Gelder an die St.-Jürgen-Straße umgeleitet werden sollen. Das ist das, was mich so fuchsig gemacht hat.
Zum Beispiel?
In dem Strategiepapier vom Februar 2005 stand drin, dass man die Gefäßchirurgie vom Herzzentrum wegnehmen wollte. Man kann aber die Herzkrankheiten von den Gefäßkrankheiten nicht trennen. Gerade ältere Patienten haben oft eine generelle Arteriosklerose, im Kopfbereich, am Herzen, an den Beinen. Bei 30 oder 40 Prozent der Patienten gibt es da eine Überschneidung. Es macht keinen Sinn, losgelöst von der Kardiologie ein Gefäßzentrum aufzubauen. Oder der Fall der Stroke-Unit für die Schlaganfall-Patienten. Die war gerade in Bremen-Ost aufgebaut. Dass sie weggezogen wurde nach Mitte, hat das Selbstverständnis der Klinik in Bremen-Ost im Kern getroffen. Man hat etwas kaputtgemacht, bis heute gibt es keinen Ersatz.
Gibt es weitere Beispiele?
Thema Innere Medizin: Man wollte ein „Bauchzentrum“ in der St.-Jürgen-Straße aufbauen, die anderen Kliniken sollten nur eine low level-Innere Medizin haben – eine Verrücktheit ersten Ranges. Bei jeder komplizierteren Untersuchung sollte man die Patienten nach Mitte bringen. Darin kommt nur die Zentralismus-Verliebtheit zum Ausdruck.
Wie kommt es zu solchen Strategie-Überlegungen?
Das muss sich jemand überlegt haben, der nicht in der praktischen Medizin steckt.
Wer?
Das Strategie-Papier ist im Ressort unter Staatsrat Knigge entstanden.
Das war nicht ein Werk des Holding-Chefs Tissen?
Der hat mir gesagt, dass er da für etwas verprügelt wird, was er sich gar nicht selbst ausgedacht hat. Er wurde als Vollstreckungsgehilfe eingestellt, der Pläne, die es längst gab, umsetzen sollte.
Zentralismus ist nicht gut?
Anfang der 80er Jahre hatten wir diesen Dinosaurier. Da ist gesagt worden, wir brauchen flexible Einheiten. Denn die Schwerfälligkeit führt zu Patientenunfreundlichkeit und zu schlechterer Medizin. Das führt auch zu einer Gleichgültigkeit – Sie können nichts mehr gestalten, Sie sind immer davon abhängig, was die Zentrale macht. Wie verhängnisvoll dieser Zentralismus ist, zeigt eine kleine Überlegung: Was wäre passiert, wenn Herr Tissen die Vollmachten gehabt hätte, die nach der aktuellen Diskussion so ein Geschäftsführer haben sollte? Ein Desaster. Herr Tissen wollte die Geschäftsführer austauschen, um dann durchgreifen zu können. Wir hätten in jeder Klinik einen neuen Mann gehabt, der überhaupt nicht weiß, wo in seinem Haus die Besen hängen, der nichts kennt, der auch nicht verankert ist. In der großen Klinik Mitte sollte Herr Lindner der Chef werden. Das, was die Krankenhäuser noch an lokalen Netzwerken haben, hätte man kaputtgemacht – und nichts gespart.
Was sollte jetzt passieren?
Es sollte trotz der fortgeschrittenen Zeit versucht werden, das Klinikum Mitte weiter zu verkleinern, so dass es mit z.B. 500 Betten etwa die Größe der anderen Häuser hätte. Dies würde der Tatsache Rechnung tragen, dass der Bettenabbau weiter fortschreiten wird und dass das vorgesehene Finanzvolumen von 200 Millionen Euro nach Meinung von Insidern für nicht tragfähig erachtet wurde. Bremen kann es sich nicht leisten, unter Berufung auf den Zeitdruck in eine weitere Kostenfalle zu geraten.
INTERVIEW: KLAUS WOLSCHNER