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Archiv-Artikel

Der real existierende Kapitalismus wird Gesetz

Bei dem heute beginnenden chinesischen Volkskongress wollen die Abgeordneten beschließen, staatliches und privates Eigentum rechtlich gleichzustellen. Auch eine Erhöhung des Militäretats für 2007 steht auf der Tagesordnung

PEKING taz ■ Es ist einer der letzten großen Schritte auf dem Weg zu einer formalen Marktwirtschaft. Staatliches und privates Eigentum sollen in der Volksrepublik in Zukunft rechtlich auf einer Stufe stehen. Das regelt Chinas erstes Gesetz über das private Eigentum, das der heute in Peking beginnende Volkskongress verabschieden will.

Der Volkskongress ist formal das höchste Verfassungsorgan Chinas. Seine rund 3.000 Abgeordneten treten einmal im Jahr für zehn Tage zusammen, sind jedoch in der Regel nur brave Befehlsempfänger der regierenden KP. Im Rahmen der Debatte um das neue Eigentumsgesetz aber muckten sie auf – nur um sich als konservative Kommunisten zu outen.

Vor dem „Ausverkauf des Sozialismus“ warnten Abgeordnete, das neue Gesetz „unterminiere die rechtliche Grundlage von Chinas sozialistischer Wirtschaft“. Sie waren einflussreich genug, um der Regierung sieben Revisionen abzuverlangen. So heißt es nun im Gesetzestext, dass staatliches Eigentum weiter den „Kern des Wirtschaftssystems“ bildet. Rechtlich bleibt der Einschub wohl folgenlos. Entscheidend ist für die Verfechter des Gesetzes die Aufwertung des Privateigentums. „Wenn die Mitspieler auf dem Markt ungleich sind, kann Marktwirtschaft nicht funktionieren“, sagte Yao Hong vom Gesetzgebungskomitee des Volkskongresses.

Den Trend zur Normalisierung des gesetzlich bislang nicht existierenden Kapitalismus in China bekommen auch ausländische Unternehmen zu spüren. Ihnen will der Volkskongress die Steuervorteile kappen. Statt bisher 15 Prozent müssen sie künftig einen Einheitssteuersatz von 25 Prozent zahlen. Das bedeutet Mehreinnahmen für den chinesischen Fiskus von über 5 Milliarden Dollar. Chinesische Firmen, die 33 Prozent zahlten, sparen im Gegenzug 16 Milliarden Dollar.

Für Aufregung im Ausland wird während des Volkskongresses die geplante Erhöhung des chinesischen Militärhaushaltes sorgen: Nach einer annoncierten Steigerung von 14,7 im letzten Jahr sollen die Militärausgaben diesmal um 17,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr steigen. Das ergibt einen offiziellen Umfang von umgerechnet 34,3 Milliarden Euro, der aber nach schwer überprüfbaren Angaben des CIA nur die Häfte bis ein Drittel der kompletten Rüstungsausgaben Chinas darstellen soll. Zum Vergleich: Die USA wollen im kommenden Jahr 481 Milliarden Dollar für die Rüstung ausgeben.

Weniger anstößig fürs Ausland sind Chinas Klimaziele. Nur werden sie nicht eingehalten. Die Regierung will deshalb auf dem Volkskongress neue Pläne für die Erhöhung der Energieeffizienz um 20 Prozent bis ins Jahr 2010 vorstellen. Das Vorhaben gilt als einer der ehrgeizigsten Energiesparpläne weltweit. Im letzten Jahr aber wurde das Ziel einer Effizienzsteigerung um 4 Prozent deutlich verfehlt.

Auch die umstittenen Arbeits- und Umerziehungslager sind Thema des Kongresses. Dort werden politische Aktivisten sowie Angehörige von ethnischen Minderheiten und Religionsgemeinschaften ohne Verfahren zu mehrjähriger „Umerziehung durch Arbeit“ eingesperrt. Auch in China wächst die Zahl derer, die das Verfahren als ungesetzlich kritisieren. Allerdings sucht der Kongress wohl nur eine Pro-forma-Lösung, die das Verfahren formal legalisiert, ohne es in der Praxis groß zu verändern.

Politische Grundsatzdebatten sind nicht Sache des Kongresses. Dennoch begleitet die Abgeordneten diesmal eine vorsichtige Diskussion über mehr Demokratie. Auch hier aber handelt es sich wohl nur um eine Pro-forma-Debatte im Vorfeld des KP-Parteitages im Herbst. GEORG BLUME, BABAK TAVASSOLIE