piwik no script img

Archiv-Artikel

Das Mausoleum der DDR-Kunst

In Beeskow hat die DDR-Auftragskunst ihre letzte Ruhestätte gefunden. 25.000 Kunstwerke wurden seit 1989 zusammengetragen. Sie bilden ein Sammelsurium von guter bis fragwürdiger Qualität

Honecker auf Tierfell – ein Geschenk der sozialistischen Republik Mongolei

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Eine der Geschichten vom Kunstarchiv Beeskow geht so: Vor ein paar Jahren ist ein älterer Mann, der zu DDR-Zeiten in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) tätig war, in dem Archiv aufgekreuzt. Er habe mitbekommen, dass vor Ort eine Ausstellung mit Porträts von Arbeitern, Bauern, Brigadiers und weiteren sogenannten Heroen der Arbeit neben Motiven aus der Landschaftsmalerei gezeigt werden sollte.

Jürgen Parche, einer der bekanntesten bildenden Künstler der DDR und Teilnehmer der jetzigen Schau, habe ihn porträtiert, sagt der Mann – für ein Bild, das dann an die Wand in einer LPG oder sonst wohin in einem öffentlichen Gebäude wanderte. Gesehen habe er das Kunstwerk nie, fährt er fort. Jetzt sei er auf der Suche nach dem Bild, auf der Suche nach dem Spiegel seiner selbst und Parches Interpretation von ihm. „Wie sehen das Bild und ich aus?“, ist seine Frage.

Die Mitarbeiter des Kunstarchivs machten sich an die Arbeit, kehrten das Oberste zum Untersten. „Wir haben gesucht, das Gemälde aber nicht gefunden. Es war nicht unter den Parches, die wir haben“, erzählt Kristina Geisler, Historikerin und Mitarbeiterin im Kunstarchiv. Der Mann musste ohne sein Bild nach Hause gehen.

Die Geschichte ist symptomatisch für das Kunstarchiv. Eine gute Stunde östlich von Berlin lagert seit 1991 in einem großen Getreidespeicher der mittelalterlichen Burg Beeskow die einstige DDR-Auftragskunst. 25.000 Kunstwerke – zum Teil von bizarrer Qualität – haben sich im Laufe der Zeit dort angesammelt.

Jedes Kunstwerk wurde inventarisiert. Viel Bekanntes wurde dabei entdeckt, aber ebenso viel Unbekanntes. Haben die Künstler etwa das Bild signiert, fehlt vielleicht das Datum. Steht dieses auf der Rückseite, ist das Motiv oder dessen Herkunft ungeklärt. Ist das Model klar – wie beim LPG-Bauern –, liegt der Verbleib des Bildes im Dunkeln. Es gibt kaum Exposés, und wenn doch, dann mangelt es an anderen Ecken. Etwa daran: Was hat das Gemälde gekostet? Wer waren die Auftraggeber? Und: Welche Wege haben die Bilder genommen, die bis zum Fall der Mauer den Staatsorganen, Massenorganisationen, Jugend- und Kulturhäusern oder Parteien gehörten und in deren Räumlichkeiten hingen?

„Weil es letztendlich eine Ansammlung von Zufallsprodukten ist, besteht unsere Aufgabe hauptsächlich darin, den vorhandenen Bestand nicht nur zu inventarisieren, sondern – sozusagen detektivisch – kunsthistorisch und wissenschaftlich aufzuarbeiten. Denn es ist ein Schatz, ein Spiegel der DDR-Kulturgeschichte, den wir hier haben“, meint der Kulturamtsleiter des Landkreises Oder-Spree, Wolfgang de Bruyn. Er ist auch zuständig für das Kunstarchiv Beeskow und den neu hergerichteten Ausstellungstrakt am Fuß des roten Backsteinturms.

De Bruyn ist ein großer Mann um die fünfzig. Er ist Berliner und der Sohn des Schriftstellers Günther de Bruyn. Das hat Gewicht in Beeskow. Die Mitarbeiter sprechen immer noch etwas autoritätshörig von „dem Herrn Doktor de Bruyn“, was sie nicht müssten. Denn de Bruyn wirkt weder autoritär noch gewichtig, sondern feinsinnig und höchstens manchmal ein bisschen ironisch-verzweifelt – geht es um den Zustand und die Bedeutung der Ex-DDR-Kunst, das Archiv, die Sisyphos-Arbeit mit der Sammlung, die schlechte Finanzierung von rund 60.000 bis 80.000 Euro jährlich und „die zwei halben Stellen, mit denen wir hier vor Ort sind“.

Mit einer der „zwei halben Stellen“, nämlich mit Kristina Geisler, stapft de Bruyn zu seinen „Schätzen“. Die liegen – wie tote Dichter – in drei dunklen Etagen des Speichergebäudes gegenüber der Burg. Geisler zeigt Bilder, öffnet Schränke, klopft auf Bronzeköpfe. Sie erzählt: In den Archivschränken, den Holzregalen und nicht selten auf dem Fußboden stapeln sich tausende Grafiken, Bildmappen, Skulpturen, Büsten und Keramiken, Wandteppiche, Vasen, plastischer Schmuck und Medaillen. Es gibt Marxköpfe, Leninstatuen, Brecht-, Pieck- und Thälmannhäupter und allen möglichen Ramsch aus dem öffentlichen Raum in Form von Steinfrauen und -männern, dämlicher Propaganda oder Tierbildnissen.

An vielen „selbst gezimmerten“ Holzregalen lehnen die über 1.500 Gemälde. Jürgen Parches meterhohes Ölbild des Kraftfahrers Hafenstein (1989), Lothar Webers Arbeiterveteran (o. D.) oder Thomas Zieglers „Zyklus sowjetischer Soldaten“ (1987) fallen ins Auge. Kunstvoll gezeichnete Sitte-, Heisig-, Tübke- oder Mattheuergrafiken finden sich neben den Womacka-Schinken mit Berliner und Moskauer Stadtansichten aus den 1980er-Jahren und einer unbekannten Waltraud Simon (Im Gerberahaus, 1985). Landschaften, Perspektiven von Fabriken, ein Erich-Honecker-Bildnis, ein weiteres Honecker-Bild auf Tierfell gemalt – „ein Geschenk der einstigen Sozialistischen Volksrepublik Mongolei“, erklärt Geisler lachend. Die Zahl der Grafiken ging ins Unendliche. Ihren Werk kennt niemand. Geisler: „Es gibt nicht einmal Schätzungen.“

Im Treppenhaus dann lagert Volkskunst: ein Lenin-Porträt im Goldrahmen, ein Wandteppich aus einem FDJ-Freizeitheim, eine Soldatenplastik vom Schreibtisch eines NVA-Offiziers. Man weiß: Im Wesentlichen entstanden die Arbeiten im Auftrag der öffentlichen Einrichtungen und Organe, von Kulturinstitutionen, Vereinen oder als Folge von Wettbewerben. Die Staatskunst wurde angekauft oder war bestellt, sie hing über Schreibtischen von Ministern oder kleinen Angestellten, im Palast der Republik oder in Kindergärten, wurde verschenkt oder ins Depot geschlossen.

Der Kunstdetektiv de Bruyn hat keine Supersammlung – in ästhetischer und finanzieller Hinsicht. „Aber in Beeskow lagert die gesamte Palette der DDR-Kunstgeschichte“, sagt er nicht ohne Stolz. Von den zum Teil abstrakten Anfängen in den 1950er-Jahren bis hin zum sozialistischen Hardcore-Realismus – à la Arbeiter mit gereckter Faust vor rotem Himmel.

Das Archiv ist eine Erfindung des letzten DDR-Kulturministers Herbert Schirmer, der nach dem Aus des Sozialismus 1990 die DDR-Kunstbestände peu à peu aus den Liegenschaften der Treuhand in die Burg überführte. Schirmer war letzter Burgdirektor in Beeskow gewesen.

„Es ist ein Schatz, ein Spiegel der DDR-Kulturgeschichte, den wir hier haben“

Seit Anfang 2002 sichert ein Vertrag zwischen Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern den wissenschaftlichen Umgang und die Finanzierung des Archivs. Es werden Ausstellungen organisiert, Leihgaben gemacht – aber keine Verkäufe getätigt. Das Archiv arbeitet mit den kleinen Sammlungen in Sachsen und Thüringen zusammen, erzählt de Bruyn.

Es gibt Erfolge in Beeskow, auf die er mächtig stolz ist. Eine Ausstellung zeigte 2004/5 die DDR-Landschaftsmalerei mit dem Titel „Zwischen Himmel und Erde“. „Die Wanderausstellung sahen mehr als 300.000 Besucher“, sagt der Archivleiter. „Vorwärts und nicht vergessen“ (2005) mit Porträts war auch ein kleiner Publikumsmagnet. Das hänge auch damit zusammen, dass das Verständnis gegenüber DDR-Kunst gewachsen sei, meint Geisler.

Natürlich gibt es Konflikte, Kritiker und Neider. Das Deutsche Historische Museum (DHM hat sich die berühmten Bilder aus dem Palast der Republik gesichert. Gemälde verschwanden oder wurden heimlich „entsorgt“, wie das der DDR-Kunstkenner Bernfried Lichtenau nennt. Auch daher begründe sich „die Zufälligkeit“ der Sammlung.

Wie viele Kunstwerke öffentlicher Auftragskunst in Depots oder privaten Kellern unerkannt herumliegen, weiß so genau niemand. Sicher ist, dass es weiter „Schätze“ en masse noch gibt.

Als de Bruyn das Depot abschließt, erzählt er von einem neuen Schatz, der gehoben wird. So verhandelt er mit dem Bund über die Bilder aus dem DDR-Außenministerium und den Botschaften. Die Finanzierung, Lagerung und Sicherung gelte es zu klären. „In den Verhandlungen geht es um Konditionen wie die Finanzierung von Erhaltung, Sicherung und auch die Versicherung der rund 500 Kunstwerke.“ Von den Bildern verspricht sich de Bruyn eine weitere gute Geschichte: nämlich die, dass in den Außenamtsstuben Ost die gleichen deutschen Landschaftsschinken und Stillleben hingen wie in denen des Westens.