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Archiv-Artikel

Die Leiche im Teppich

ERWEITERTES KINO Kerstin Cmelka stellt Filmbilder nach und fordert dabei die Vorstellungskraft der Zuseher heraus – zu sehen im Kunstverein Langenhagen

Der Film, respektive in seiner Variante als Video, ist seit den 1960er-Jahren aus dem Kunst- und Ausstellungskontext nicht mehr wegzudenken. Doch er wirft Fragen auf, etwa: kann ein erzählender Film ohne Kinoerlebnis funktionieren? Und: widmet man sich überhaupt längeren, komplexen Sequenzen außerhalb der freiwilligen Zwangsruhigstellung im Filmtheater? Welche Themen, welche Dramaturgie, welche Filmdauer könnten in einer Ausstellung greifen?

Die 1974 in Niederösterreich geborene Kerstin Cmelka beschäftigt sich seit ihrem Studium an der Frankfurter Städelschule mit Aspekten des Films, historischen, auch absurden Varianten des Kinos sowie populären Gattungen des Theaters. Nach dem klassischen 16-Millimeter-Experimentalfilm für Festivals sind es ab 2007 Performances, live und als Video, und die Fotografie, in denen Cmelka das Allgemeingut ikonischer Filmbilder und Stereotype fiktionalisierter Handlungen und Dialoge untersucht.

Als dramaturgischen Begriff hat sie das Mikrodrama ihres Landsmannes Wolfgang Bauer neu erweckt. Dieser zeigte in den 1960er-Jahren die Grenzen des Theaters auf, indem er auf der Bühne etwa ein Flugzeug landen oder 1.000 Apachen aufmarschieren lassen wollte – alles nicht als Aufführung möglich, sondern nur als Lesedrama aus wenigen Seiten Text, das Theater im Kopf des Lesers.

Nachgestellte Filmbilder funktionieren auch bei Cmelka nur mit einem Schuss ergänzender Imagination. Da ist beispielweise die Frauenleiche, verkörpert vom ihr selbst, die es beiseitezuschaffen gilt. Feuerrot gewandet, wird sie von zwei Männern in den farbgleichen Teppich des Vestibüls gewickelt. Allerdings nicht ohne dabei in pietätlos wienerischer Mundart die verblasste Attraktivität der weiblichen Person zu taxieren. Diese Szene ist eine Facette der dreiteiligen Videoprojektionen Mikrodrama 11, die Cmelka rund um das populärkulturelle Thema, den Jugendlichkeitskult, ersinnt.

Allerdings steht dieser finale Tatbestand in keinem zwingend logischen Zusammenhang mit den beiden weiteren Szenen, zwei Dialogen. Je ein Mann in der Lebensmitte berichtet darin einer Partnerin, dargestellt von Cmelka, von der körperlichen wie mentalen Frischekur durch eine wesentlich jüngere Gefährtin. Dabei gewinnen aber weder die junge Sandra noch Gesine an begehrenswerter Kontur. In der Situation einer Bar etwa wird auf Nachfragen der Gesprächspartnerin nur verstockt reagiert, Sandra wolle was mit Kunst machen, sei 23. Und im Bett geplaudert: Gesine ist eine seiner Studentinnen, 21 Jahre alt.

Beide Dialoge sind im Kunstmilieu angesiedelt, die 40-jährige Cmelka erlebt in ihrem professionellen Umfeld derzeit durchaus solche Umbrüche. Und ist berührt von der banalen Lebenswirklichkeit, die sie nun mit feiner Ironie inszenatorisch bearbeitet. Den Dialog in der Bar gibt es in drei leichten Variationen. Die Kunstform des Videoloops, die Endlosschleife identischen Inhalts, wird so erweitert.

Als sinnlich erweitertes Kino ist die Gesamtinstallation von Kerstin Cmelka im Kunstverein Langenhagen angelegt. BETTINA MARIA BROSOWSKY

Kerstin Cmelka, Mikrodrama # 11: bis zum 12. Oktober, Kunstverein Langenhagen