Gefährder auf dem Sattel

CRASH Plötzlich stehen da Fußgänger. Wie aber brüllt man „Das ist ein Radweg“ auf Englisch?

Ich wollte sagen, dass es mir leidtut. Gleichzeitig fühlte ich mich nur begrenzt schuldig

Neulich habe ich eine Fußgängerin angefahren. Na ja, ich bin ihr eigentlich eher mit meinem Fahrrad zwischen den Beinen in die Seite gehoppelt. Es waren vergebliche letzte Stopp-Sprünge, nachdem meine Rücktrittbremse auch nicht mehr viel verhindern konnte. Sie war sehr plötzlich und sehr zügig hinter einem Stromverteilerkasten hervorgekommen, diese Fußgängerin.

Nun standen wir also so da und ich wollte vor allem sagen, dass mir das leidtut. Gleichzeitig fühlte ich mich aber nur begrenzt schuldig, so wie sich eben der stärker Mobilisierte schuldig fühlt, wenn er einem schwächer Mobilisierten fast weh getan hätte, obwohl es streng genommen doch dessen eigene Schuld war. Man verprügelt ja in der Regel auch keine Fahrradfahrer, die einem vors Auto geknallt sind.

Mir fiel ein, wie mich die Wilmersdorfer Fahrradfahrer früher in Berlin immer angebrüllt hatten. Ein furchtbarer Schreck war das jedes Mal für mich, wenn ich mit meinen Großeltern spazieren ging und aus Versehen ein paar Zentimeter meiner Fußsohle den Radweg streiften. Plötzlich und sehr zügig kamen sie immer angeschossen, diese Fahrradfahrer. Meist brüllten sie: „Das ist ein Fahrradweg.“ In Ochsenfurt, wo ich zu der Zeit heranwuchs, gab es so etwas nicht, Fahrradwege.

Nun stand ich da also wieder, auf einem Berliner Radweg, wollte mich eigentlich entschuldigen und sagte: „Das ist ein Fahrradweg.“ Die Fußgängerin, eine junge Frau, vielleicht eine Studentin, sah mich einen Moment an. „Ich weiß“, sagte sie dann und lächelte ein wenig verächtlich. Irgendwie, dachte ich, hat sie recht.

Vor einigen Jahren hatte der Feuilletonchef einer Frankfurter Zeitung darüber geschrieben, dass Fußgänger in Prenzlauer Berg so gefährlich leben wie sonst fast nirgends auf der Welt. Wegen der Radfahrer. Er berichtete von einer Freundin, die aus dem Haus trat, dabei sämtliche Zähne verlor und sich 23 Knochen brach. Wegen eines Radwahnsinnigen. So ungefähr.

War ich nun einer von diesen Irren? Ein Gefährder? Ein potenzieller Fußgängerüberfahrer? Brauchen wir eine Höchstgeschwindigkeit für Fahrradwege? Eine Helmpflicht für Fußgänger? Oder reicht es, oft genug „Das ist ein Fahrradweg“ zu brüllen?

In Prenzlauer Berg und in Mitte ist das Ganze ja auch ein interkulturelles Problem. Viele Touristen scheinen noch nie einen Fahrradweg gesehen zu haben und erschrecken wie ich vor 20 Jahren. Man müsste ihnen das übersetzen. Wie brüllt man „Das ist ein Fahrradweg“ auf Englisch? Am besten in einem Englisch, das auch Franzosen verstehen.

Ich fuhr weiter. Ein anderer Radfahrer, der mich beim Anfahren überholte, hatte die ganze Sache gesehen und murmelte etwas Solidarisches. Es klang wie: „Ist doch ’n Radweg.“ Vielleicht habe ich mir das aber auch nur eingebildet. JOHANNES GERNERT