Tour de Integration

SATTELFEST Sind zu wenig MigrantInnen auf zwei Rädern unterwegs? Was Radfahren und die Integrationsdebatte gemeinsam haben

Teure Handys sind bei türkischstämmigen Jungs angesagter als Fahrräder

Die Zahl der RadfahrerInnen in Berlin steigt stetig, das belegen Zahlen des Senats. Die jüngste Integrationsdebatte ist eine der heftigsten in den vergangenen Jahren. Wundert es da, dass beide Themen – Radfahren und Integration – nun zusammenstoßen? In einer der letzten Ausgaben der radzeit, der Mitgliedszeitschrift des ADFC, fordert eine Autorin Fahrradkurse speziell für MigrantInnen. Hauptargument ist nicht der Gesundheits- oder Umweltfaktor. Nein, es ist die Integration.

Viel zu wenige MigrantInnen seien auf dem Rad unterwegs, so der Text. Deshalb sollen in den sogenannten Integrationskursen neben Deutsch und den Grundzügen des politischen und wirtschaftlichen Systems auch der Lifestyle des Radeln vermittelt werden.

In Berlin gibt es tatsächlich schon Angebote, die auf die Mobilisierung von MigrantInnen abzielt. In Kreuzberg können zum Beispiel Frauen mit Migrationshintergrund in den Jugendverkehrsschulen am Wassertorplatz und in der Wiener Straße kostenlos Rad fahren lernen. Das Projekt heißt „Mütter lernen Fahrradfahren“ und existiert seit 2008. Initiiert wurde es von Deutschlehrern der Volkshochschule und der Berliner Polizei. „Wir stellen nur den Platz zur Verfügung“, erklärt Boris Kolipost, Leiter der Jugendverkehrsschulen.

Entstanden ist die Idee, als an den Volkshochschulen Deutschlehrer ihre Schüler fragten, ob sie an Fahrradkursen teilnehmen wollen, weil diese nicht besonders gut besucht waren. Inzwischen wird drei Mal die Woche von der Polizei eine Verkehrssicherheitsberaterin zur Verfügung gestellt, mit deren Hilfe bereits mehrere hundert Frauen das Radfahren gelernt haben. Der Integrationsaspekt scheint dabei eher Nebensache zu sein.

Ähnlich verhält es sich mit dem Integrationsaspekt in der Kreuzberger Werkstatt „Velo-Fit“. Hier können 10- bis 16-Jährige an Fahrrädern herumwerkeln, sie verkaufen und ihr Taschengeld aufstocken. Dabei betreuen Handwerker und sozialpädagogische Fachkräfte das Angebot, das vorwiegend von Kindern und Jugendlichen aus türkischen und arabischen Familien wahrgenommen wird. Hauptziel sei das Erlernen einer sinnvollen Beschäftigung und der soziale Umgang miteinander, sagen die Organisatoren.

Michael Breitenbach, seit sechs Jahren als Sozialarbeiter in der Werkstatt tätig, erzählt, dass die Jungs, die in die Werksatt kommen, zwar Fahrrad fahren, erfahrungsgemäß aber keine längeren Strecken. „Wenn wir mit denen eine Radtour in den Grunewald machen, sind die schon schwer beeindruckt“, so Breitenbach. Auch würden sie nicht viel Geld in ein Rad investieren. Teure Handys und coole Klamotten seien bei Teenagern eben angesagter.

Weshalb erwachsene MigrantInnen seltener Fahrrad fahren, erklärt Ali S. mit Traditionen. Der Besitzer eines Radladens glaubt, dass zum Beispiel türkische MigrantInnen der ersten Generation kaum mit dem Rad unterwegs sind, weil sie es nicht aus ihrer Heimat kennen. Die Infrastruktur in vielen türkischen Städten sei einfach nicht geeignet. Inzwischen würden aber Kinder, die hier aufgewachsen sind, ihren Eltern das Radfahren vormachen und sie dazu animieren. Außerdem glaubt er, dass ein Fahrrad für einen Europäer eher ein Verkehrsmittel ist, mit dem man auch Spaß haben kann – während für einen Türken das Radfahren entweder aus gesundheitlichen oder finanziellen Gründen in Frage kommt. Viele glauben auch, dass ein Auto bequemer sei. Ein Trugschluss, findet Ali S.

Auch Tülay B. ist gerne auf dem Rad unterwegs. Regelmäßig fährt sie ihr Kind zur Kita und erledigt ihre Einkäufe. Die 33-jährige Bildungswissenschaftlerin, die Kopftuch trägt, sagt, dass sie am Anfang oft Blicke auf sich gezogen hat. Sie erzählt amüsiert, wie sie einmal an einer Gruppe türkischer Geschäftsleute vorbeifuhr, die über sie lachten, weil sie offenbar noch nie eine Frau mit Kopftuch auf einem Rad gesehen haben. Allerdings hätte sie auch schon mal schmunzeln müssen, als sie zufällig zwei andere Kopftuchträgerinnen auf dem Rad getroffen hat.

Dabei erzählen ihr viele Frauen, dass sie auch gerne Fahrrad fahren würden, doch der Verkehr sei ihnen zu gefährlich. Deshalb findet B. den Kurs „Mütter lernen Fahrrad fahren“ sinnvoll. So könne man die Selbständigkeit von Frauen fördern. Aber was das Radfahren mit der Integration zu tun haben sollte, versteht sie nicht wirklich. „Hauptsache, jeder kann mal seinen Senf dazugeben“, bemerkt die junge Frau – und radelt davon. CANSET ICPINAR