: Völkische Ambitionen
FUSSBALLPOLITIK Dem auseinanderbröselnden Verband von Bosnien und Herzegowina droht der Ausschluss aus Fifa und Uefa
NATIONALTRAINER SAFET SUSIC
SARAJEVO taz | Die Menschen in Sarajevo sind schockiert. Ob beim Friseur, beim Einkaufen auf dem Markt oder beim Rundgang um das Stadion des FC Sarajevo, wo Jugendmannschaften trainieren, gibt es nur ein Thema: Die erst letzte Woche gegen Rumänien erfolgreiche Nationalmannschaft des Landes soll vom Internationalen Fußballverband Fifa aus allen Wettbewerben ausgeschlossen werden. „Was für eine Katastrophe“, sagt der 17-jährige Samir. „Wir haben jetzt eine sehr gute Mannschaft mit Misimovic, Dzeko und Ibisevic, wir können die Qualifikation in der Gruppe D für die Europameisterschaft schaffen. Und jetzt das.“
Die Gründe versteht der Junge nicht. Dabei hatten die Uefa und die Fifa schon vor Monaten entschieden, dass Bosnien und Herzegowina aus allen Wettbewerben ausgeschlossen werden würde, wenn der bosnische Fußballverband bis zum 1. April nicht endlich eine Strukturreform durchführte. Nach Willen der Uefa und der Fifa soll der Verband endlich einen einzigen Präsidenten benennen. In den Uefa- und Fifa-Statuten ist nur ein Präsident pro Landesverband vorgesehen. Bisher sind es in Bosnien und Herzegowina drei: Gemäß der aus dem Dayton-Friedensvertrag von 1995 hervorgehenden Verfassung des Landes je einer aus den sogenannten konstitutiven Volksgruppen, den Bosniaken (Muslimen), Serben und Kroaten.
Auf einer Delegiertenversammlung des Verbandes am Mittwoch kam es dann zum Eklat. Die serbischen und Teile der kroatischen Delegierten stimmten gegen die Strukturreform. Nur die Bosniaken stimmten geschlossen dafür. Ein Delegierter der internationalen Verbände war zugegen. Nun werden Uefa und Fifa am 13. Juni nach seinem Bericht entscheiden, wie es weitergehen soll. Die Chancen für den bosnischen Verband stehen aber schlecht. „Denn die internationale Seite versteht den Konflikt nicht“, sagt der sichtlich bedrückte Nationaltrainer Safet Susic. „Nicht der Fußball, sondern die Politik steht hinter der Entscheidung. Das Ganze hat mit Sport nichts zu tun.“
Pikant an der gesamten Entwicklung ist nämlich, dass die Nationalmannschaft vor allem aus Bosniaken besteht. Bosnisch-serbische Nationalisten, wie der Ministerpräsident des serbischen Teilstaates Republika Srpska, Milorad Dodik, haben schon seit Jahren betont, die Nationalmannschaft des Landes interessiere sie nicht. Jetzt will er einen eigenen Verband der serbischen Teilrepublik gründen. Auch der Vorsitzende der kroatischen Nationalpartei HDZ, Dragan Covic, identifiziert sich mehr mit der kroatischen Nationalmannschaft als mit jener Bosnien und Herzegowinas.
Bleiben nur die jetzt sichtlich frustrierten Bosniaken und die nichtnationalistischen Bevölkerungsteile, die während des Krieges 1992–95 von serbischer und kroatischer Seite angegriffen worden waren. Die damaligen Präsidenten Serbiens und Kroatiens, Slobodan Milosevic und Franjo Tudjman, hatten schon 1991 in einem Geheimvertrag die territoriale Aufteilung Bosnien und Herzegowinas zwischen beiden Staaten und die Vertreibung der bosniakischen Bevölkerungsmehrheit beschlossen. Wegen der Verbrechen der „ethnischen Säuberungen“, bei denen 2 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und über 100.000 getötet worden waren, müssen sich bis heute wichtige nationalistische Führer vor dem UN-Tribunal in Den Haag verantworten.
„Der Vorgang im Fußballverband ist ein Spiegelbild dieser Ambitionen“, meinen viele Bürger Sarajevos wie der Pensionär Mehmed Alicehajic. Die serbischen und kroatischen Nationalisten hätten ihr politisches Ziel, die territoriale Aufteilung des Landes zu vollenden und „ihre“ Teile mit Serbien bzw. Kroatien zu vereinigen, bis heute nicht aufgegeben. „Der Konflikt im Fußballverband stellt nur das Vehikel für politische Ziele dar“, sagt auch der in Frankreich tätige und aus Bosnien stammende Fußballtrainer Wahib Halihodzic. „Um Fußball geht es nicht. Alle Leute, die für Fußball sind, müssen jetzt aufstehen und sagen: Genug!!“ Er wolle persönlich mit Michel Platini reden.ERICH RATHFELDER