„Emma? Nie gehört!“


Feministinnen wollen sie nicht sein. Aber sich im Alltag gegen Männer behaupten. Die eine junge Frau spielte in einer ARD-Doku eine „Bräuteschülerin“ der 50er-Jahre. Die andere ist eine Deutschtürkin, die öfter mal ihren Freund an den Herd schickt. Die dritte ärgert sich über Machosprüche auf dem Pausenhof

VON COSIMA SCHMITT

Feminismus? Sie zuckt die Schultern. Zieht an der Zigarette. Hat diesen milden Blick, mit dem Teenager die Bob-Dylan-Platten ihrer Eltern belächeln. „Damit habe ich nichts am Hut. Da denke ich an Alice Schwarzer. Dass die Frauen stärker sein müssen als die Männer und so ’nen Quatsch. Oder an Frauenbeauftragte, wo man hingeht und jammert“, sagt Madeleine Wiese und bläst Rauchkringel in die Luft.

Das Schlagwort zieht sich durch Leitartikel und Talkshowrunden: Enddreißigerinnen rufen den „neuen Feminismus“ aus. Verlage geben Bücher in Auftrag, die für einen modernen, hippen Frauenprotest eintreten. Hat die Debatte aber auch die ganz normalen jungen Frauen erreicht? Sind feministische Forderungen ein Kneipen- und Fetentalk?

Wiese hatte sechs Wochen lang Zeit, über weibliche Lebensmodelle nachzudenken: Sie war eine von zehn jungen Frauen in der ARD-Dokusoap „Die Bräuteschule 1958“. Unter dem Regiment zweier Lehrerinnen durfte sie dem Hausfrauenideal der Adenauerzeit nacheifern. In graue Kittel gewandet, übte sie sich in Gehorsam und Kreuzstich. Sie lernte, wie sie einen Gugelhupf formt und einen Stallhasen enthäutet. „Die Frauen früher, die mussten sich zwar um nichts einen Kopf machen. Nur aufpassen, dass der Braten nicht anbrennt. Aber sie waren dem Mann total ausgeliefert. Ich war in der Bräuteschule ja selbst so: Habe, ohne zu murren, einen Aufsatz geschrieben: „Warum ich als Frau gerne untertan bin.“

Die 23-Jährige sieht heute reifer aus als in der Bräuteschule. Sie schaut dem Gegenüber ins Gesicht und nicht mehr so oft verlegen auf den Fußboden. „In meinem Leben soll die Familie das Wichtigste sein. Ich will nicht Chefin werden oder so. Aber ich will auch nicht verblöden.“ Sie nennt das den „Hillary-Clinton-Weg“: „Die hat erst ihrem Mann den Rücken freigehalten und macht jetzt selbst Karriere. Das finde ich toll.“

Wiese ist in Chemnitz aufgewachsen und studiert jetzt in Dresden. „Ich bin sehr froh, dass ich heute lebe und nicht 1958. Weil ich eine Wahl habe, was ich mit meinem Leben mache.“

Umso ärgerlicher findet sie es, wenn jetzt „diese komische Eva Herman“ ihre Thesen verkündet. „Das ist doch totaler Blödsinn. Die Frau gehört nicht an den Herd. In den Fünfzigern machte das ja noch irgendwie Sinn. Aber heute gibt’s doch Mikrowellen und Tiefkühlpizza.“

Sollten die jungen Frauen da nicht gegenhalten? Einen neuen Feminismus einfordern? Ein ratloser Blick. Das Schlagwort sagt Wiese nichts. Ein zweiter Versuch: Wie müsste denn ein Feminismus aussehen, den sie gutheißt? „Wenn neuer Feminismus meint, dass die Männer femininer werden sollen, dann fände ich das schon gut. Ich sehe das bei Bekannten in München. Da arbeiten sich die Männer tot und haben zwei Jobs, und die Frauen sitzen den ganzen Tag zuhause. Die sind familiär in der Hinsicht, dass alles die Frau macht.“ Heute haben es Männer schwerer als Frauen, findet Wiese. „Entweder die Männer arbeiten Tag und Nacht. Oder sie haben keinen Job und werden depressiv. Eine Frau, die den Job verliert, kann immer noch Hausfrau sein und keiner guckt sie schief an.“

Die Frage, ob „er“ oder „sie“ es schwerer hat in der modernen Welt, bewegt aber nicht nur Frauen, die via TV-Doku dafür sensibilisiert wurden. Auch die Schülerin Sandra Lehmann sagt: Das ist bei uns zuhause schon ein Thema. „In einigem haben es Mädchen ja leichter. Etwa wenn die Kfz-Mechatroniker werden wollen – das sind die, die an Autos rumschrauben. Gerade machen ein paar Freundinnen von mir diese Ausbildung. Die hatten es leicht, den Platz zu kriegen, es gibt ja kaum Frauen in dem Beruf, die werden dann bevorzugt eingestellt“, sagt die 17-Jährige. Lehmann wohnt in Berlin-Kreuzberg, inmitten von Cafés und Indien-Läden und pastellfarbenen Gründerzeitbauten, an denen junge Paare die Kinderwagen vorbeischieben. Gerade lernt sie für den mittleren Schulabschluss, will später mit Behinderten arbeiten.

Heute blinzelt sie in die Frühlingssonne und kräuselt die Stirn. „Feminismus? Das sagt mir nichts. Nur dass das was mit fraulich zu tun hat.“ Emma? „Nie gehört.“ Alice Schwarzer? „Die kenne ich. Die beharrt immer so auf ihrer Position. Wenn die nicht aufpasst, wird die mal ein ganz einsamer Mensch.“ Lehmann stockt und grübelt. Dann strahlt sie und plaudert los: „Es gibt aber einen Begriff, der mir viel sagt: Emanzipation.“

Oft rufen ihr die Jungen auf dem Schulhof „Emanze“ hinterher. „Die sagen: Ihr Mädchen müsst kochen lernen. Dann sage ich: Könnt ihr denn kochen? Putzt ihr auch mal? Und schon gilt man als Emanze.“

Sie empfindet das aber nicht als Schimpfwort. Oft erzählt ihr die Oma, wie es früher bei ihnen zuhause war. Dass die Frauen gebügelt haben und gekocht und geputzt und wieder gebügelt. „Mensch, Oma, das war doch total öde“, sagt Sandra dann. „So ein Leben, das ist für mich und meine Freundinnen kein Thema. Ich finde es schon gut, wenn eine Frau nach einer Geburt erst mal zuhause bleibt. Aber so nach einem Jahr sollte sie zurück in den Job.“

Heute können Mädchen alles werden, sagt Lehmann. Sie müssen sich nur durchsetzen. Manchmal ärgert sie sich über die Jungs in der Schule. Wenn die ein Mädchen nicht zu Wort kommen lassen. Oder sich gegenüber Dritten als Beschützer aufspielen. „Prolls halt. Ich bin sehr antiproll eingestellt. Das ist doch der Unterschied: Proll oder Nichtproll. Und nicht Frau oder Mann.“

Auch Meral Alkan, 22, Schülerin aus Berlin-Tempelhof, kann sich unter „Feminismus“ nichts vorstellen. Die Rolle der Frau aber beschäftigt sie häufig. Freie Stunden verbringt sie in der „Schokofabrik“ in Berlin-Kreuzberg, einem FrauenLesben-Freizeitzentrum – einem männerfreien Terrain, in das auch konservative türkische Väter ihre Teenager-Töchter gehen lassen. „Da kommt fast täglich eine mit blauem Auge rein. Das ärgert mich schon, dass Frauen nicht besser vor Gewalt geschützt sind.“

Alkan selbst wirkt nicht wie eine Frau, die sich etwas vorschreiben lässt. Mit wehendem Mantel rauscht sie herein, ruft ein paar Anweisungen ins Handy, lässt sich an einen Tisch fallen. „Die Frauen dürfen sich nicht so viel gefallen lassen“, sagt sie. „Zum Beispiel mein Freund. Der ist ein echter Traummann. Jetzt. Aber das hat Zeit gebraucht. Am Anfang hat er versucht, ob ich nicht alles mache im Haushalt. Er hat getestet, wo meine Grenzen liegen. Ein Türke eben. Aber he, wo steht denn, dass ich alles machen soll? Das ist doch kein Gesetz.“ Heute steht der Freund oft am Kochtopf, greift selbst zum Staubsauger, die Hausarbeit wird geteilt. Sie hatte das richtige Vorbild, sagt Meral Alkan: „Zuhause hat meine Mama das Sagen. Papa war lange krank, da hat sie alles übernommen.“ Noch heute verdient die Mutter das Geld und betreibt ein eigenes Geschäft. „Wir brauchen mehr Frauen wie meine Mutter“, sagt Alkan. „Die Jungs kopieren doch, was die Eltern ihnen vorleben. Da kann noch so viel von Gleichberechtigung im Gesetz stehen.“

Sich im Alltag gegen Männer behaupten, ohne sich Feministin zu nennen, individuelle Lösungen und die richtigen Vorbilder suchen – diese Wege sind offenbar konsensfähig unter vielen jungen Frauen. Wie aber sieht dies eine Frau, die sich intensiv dem Gender-Thema widmet, es gar zu ihrem Beruf machen will?

An der Berliner Humboldt-Uni sitzt inmitten von Bücherstapeln und Aktenordnern Melanie Bittner. Die 28-Jährige findet nicht, dass alles gut läuft für die Frauen in der modernen Welt. Deshalb hat sie ihr Lehramtsstudium aufgegeben, ist nach Berlin gezogen, betreibt jetzt „Gender Studies“. Im Hauptfach. Sie ist ein wenig genervt von all dem Kopfschütteln und Stirnrunzeln, das ihr jetzt begegnet. „Warum studierst du denn das? Das ist doch gar kein Thema mehr“, fragen Freunde und Verwandte.

Schaut man sich um in Bittners Lernstätte, auf die Ordner zum Thema „Recht und Geschlecht“, die sich hier in den Regalen reihen, hat man nicht das Gefühl, in eine abseitige akademische Nische geraten zu sein: „Kindermisshandlung“, „Gewalt in der Ehe“ und „Unterhaltsrecht“ steht da auf weiße Schilder gedruckt – lauter Themen, die regelmäßig die Medien beschäftigen. „Wir brauchen keine Promifrauen, die uns den neuen Feminismus erklären. Das Wissen ist doch längst da. Hier am Lehrstuhl gibt es viele kluge Frauen mit zeitgemäßen Ansichten. Aber das dringt kaum nach außen.“

Es ärgert Bittner, dass unter dem Schlagwort „Feminismus“ jetzt vor allem über Kitas diskutiert wird. Als wäre Frauenpolitik nur Mütterpolitik. Als gäbe es nicht abseits der Kinderfrage noch andere Ungleichheit zwischen Frau und Mann. Will sich Gender-Studentin Bittner da nicht als Feministin positionieren? Sie druckst. „Ich versuche, gewisse Regeln einzuhalten. Nicht zu lachen, wenn ein Bekannter sexistische Witze erzählt, selbst wenn ich dann als Spaßbremse dastehe. Oder den Jungs, die ich in Jugendgruppen betreue, die Macho-Allüren auszutreiben.“ Und das F-Wort? „Na gut. Im Zweifel würde ich mich eine Feministin nennen.“