: Knautschzone Hirn
GEFAHR Fahrradhelme sind nutzlos, sagen Studien. Sie schaden mehr, als sie helfen. Wirklich?
Wann passiert es schon mal, dass einem auf der Straße hinterhergepfiffen wird? Genau: wenn man mit dem Metronaut von ABUS durch den Berufsverkehr radelt. Klar, wie jeder andere Helm auch, lässt er den Kopf wuchtiger erscheinen. Schön ist das nicht. Aber dafür, dass das 80-Euro-Teil auch alle Sicherheitsfunktionen erfüllt und noch dazu einen sehr passablen Schutz für lichtempfindliche Augen bietet, ist der Metronaut eine gute Wahl. Wer ihn besitzt, kommt zudem mit KollegInnen und Freunden leicht ins Gespräch. Deren Reaktion liegt nämlich irgendwo zwischen Schock und Neid.
VON LINDA HOLZGREVE
Wenn man an die vielen Melonen denkt, die in den vergangenen Jahrzehnten auf deutschen Schulhöfen zerplatzten, sind die Zahlen verwunderlich. Nach neuesten Daten tragen nur 9 Prozent der Fahrradfahrer in der Bundesrepublik einen Helm. Unter Jugendlichen sind es 15 Prozent, unter Kindern 38 Prozent. Niedrige Quoten angesichts des Aufwands, der seit Jahren betrieben wird, um für die Verletzlichkeit des Kopfes zu sensibilisieren. Eitelkeit auf dem Rad sei fehl am Platz, das lehren Verkehrspolizisten seit Generationen. Notfalls mithilfe von ebenjenen Melonen, die – mal in Helme geschnallt, mal nicht – einem Crashtest auf dem Schulhof unterzogen werden. Alles, um den Kindern zu beweisen: So würde ein Helm im Ernstfall auch euren Kopf schützen. Genau das ist aber die Frage. Der menschliche Kopf ist schließlich keine Melone – und auch wissenschaftliche Studien zur Schutzwirkung von Fahrradhelmen liefern oft widersprüchliche Erkenntnisse.
Aufsehen erregte der Selbstversuch des britischen Verkehrspsychologen Ian Walker, der 2006 die Überholmanöver von Autofahrern untersuchte, während er auf dem Fahrrad typische Pendlerstrecken zurücklegte. Mit einer Videokamera und einem Ultraschallmessgerät hielt er fest, dass Autos weniger Abstand zu ihm hielten, wenn er einen Helm trug. „Autofahrer halten einen Radler mit Helm vermutlich für erfahrener und rechnen nicht damit, dass er ausscheren oder ins Straucheln geraten könnte“, analysiert Walker seine Ergebnisse. Seine Studie sagt: Wer einen Helm trägt, geht durch den verringerten Sicherheitsabstand ein höheres Unfallrisiko ein. Die Schutzfunktion von Fahrradhelmen will Walker aber nicht infrage stellen, obwohl er im Laufe seiner Untersuchung zweimal angefahren wurde – beide Male trug er einen Helm.
Auch die Untersuchungsergebnisse von Frank Thomas Möllmann, heute Neurochirurg in Osnabrück, und seinen Kollegen vom Universitätsklinikum Münster liefern keinen Beweis dafür, dass ein Helm schwerere Kopfverletzungen zuverlässig verhindert: 2004 erforschten sie Ursachen für Fahrradunfälle und typische Verletzungen. Sie konzentrierten sich dabei insbesondere auf Schädel-Hirn-Traumata und untersuchten mehr als 300 Patienten, die bei Fahrradunfällen Hirnverletzungen erlitten hatten. 90 Prozent der Unfallopfer hatten keinen Fahrradhelm getragen – „aber die Schwere der Verletzungen unterschied sich zwischen den beiden Gruppen nicht signifikant“, schreibt Möllmann in seinem Fazit.
„Make cool helmets!“ war der Arbeitsauftrag, den sich der Grafikdesigner Michael Morrow gab, als er die Firma Nutcase in Portland im Nordwesten der USA gründete. Morrow entwirft Helme für Fahrrad, Snowboard, Wassersport und Motorrad in dutzenden Designs. Auf die Außenschale druckt er Hibiskusrosen, bunte Punkte, Ausschnitte aus Wandgraffitis, gelbe Wahndreiecke und Flaggenmuster. Ein Fahrradhelm kostet etwa 59 Euro, die ganze Kollektion kann man auf der Internetseite www.nutcasehelmets.com ansehen. Die Helme aus den USA tragen auch ein deutsches TÜV-Siegel.
Sind Fahrradhelme also nutzlos oder sogar ein potenzielles Sicherheitsrisiko? Im Gegenteil, meint der Berliner Unfallchirurg Karsten Mülder. Er hält überhaupt nichts davon, Fahrradhelme in Studien zu testen: „Ich kenne keine Studie, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen würde – das wäre ja ethisch gar nicht vertretbar“, sagt er. Die Helmdebatte ähnele der früheren Diskussion über Sicherheitsgurte im Auto. Sein engagiertes Eintreten für Fahrradhelme begründet er mit den täglichen Erfahrungen aus seiner Praxis. Seit Jahrzehnten sehe er schwere Verletzungen bei Radfahrern ohne Helm – und viele Unverletzte, deren Helme nach Unfällen stark beschädigt seien: „Der zynische Chirurgenspruch aus der Zeit vor den Helmen stimmt leider: Die Knautschzone des Fahrradfahrers ist sein Frontalhirn.“
Egal ob man sich wie Emil Tischbein fühlt oder wie dessen Cousine Pony Hütchen – detektivisch wie die Figuren aus Erich Kästners Kinderbuchklassiker „Emil und die Detektive“ sieht man mit dem Tokyo Blue Stripe von Yakkay immer aus. Dass der Helm aus Dänemark kommt, verwundert nicht – die Dänen fahren massenhaft Rad und sind meist auch noch verdammt gut gekleidet. Und wer weiß, wie teuer dieses schöne Land ist, den wundert auch der stolze Preis von 100 Euro nicht. Charmant: Die Krempe verbirgt gekonnt den Helmrand. Noch mehr Huthelme gibt es unter yakkay.com.
Wendet man sich Rat suchend an den ADFC, bekommt man dort zwar Informationen, eine eindeutige Position zur Helmfrage wird jedoch vermieden: „Wer einen Helm nutzen möchte, der soll auch einen tragen“, lautet das knappe Statement. Wichtiger als die Diskussion über Helme sei ein verkehrspolitisches Umdenken: Anstatt das Fahrradfahren ohne Helm als unverantwortlich darzustellen, solle der Radverkehr gestärkt werden. Dadurch würden Radfahrer besser gesehen – und seltener übersehen.
Skateboardhelme sehen besser aus als klassische Fahrradhelme, weil sie nicht so sehr an Krokodilrücken erinnern, sondern eher an die schönen runden Kiesel am Rand des Krokodilbeckens. Die US-Firma Bern Unlimited hat den Stil des Skateboardhelms mit den Sicherheitsanforderungen des Fahrradhelms verbunden. Eine spezielle Flüssigschaumtechnik soll bessere Widerstandfähigkeit bei weniger Gewicht möglich machen. Der sportliche Kopfschutz kostet etwa 70 Euro. Ganz klassisch wirkt der Helm in Schwarz – oder in Weiß. Alle Helmfotos: Hersteller
Es gibt Erfahrungsberichte aus Ländern mit Helmpflicht, die diesem verkehrspolitischen Ansatz recht geben. Als Negativbeispiel verweist der ADFC auf eine Studie aus dem australischen Bundesstaat New South Wales: Als in Australien 1991 eine Helmpflicht eingeführt wurde, stieg dort die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die einen Helm nutzten, stark an – doch insgesamt ging die Zahl der Rad fahrenden Jugendlichen innerhalb von zwei Jahren um fast die Hälfte zurück. Zwar wurden in diesem Zeitraum weniger Kopfverletzungen gezählt, im Verhältnis stieg die Verletzungsrate aber sogar an. Das Radfahren wird also gefährlicher, je weniger Menschen insgesamt das Fahrrad nutzen. Umgekehrt gelten Länder mit hohem Radverkehrsanteil auch für den einzelnen Fahrradfahrer als sicherer.
Wer der kollektiven Sicherheit auf deutschen Straßen noch nicht traut, muss sich dem Schicksal aber nicht ausliefern. Auch unabhängig von der Entscheidung für oder gegen einen Helm kann man seine individuelle Sicherheit erhöhen – indem man sein Fahrrad verkehrstauglich hält, defensiv fährt und darauf achtet, auf der Straße gut gesehen zu werden. Grundsätzlich ist das Radfahren dann gesund: Wenn man so rechnen will, gleichen die positiven Effekte auf den Körper laut ADFC die Gefährdung durch Verletzungen aus – auch, wenn man ohne Kopfschutz fährt. Schaden aber kann der Helm bei einem Unfall wohl kaum.