: Landeanflug eines Ufos
STADTENTWICKLUNG Vom Frappant zu Ikea: Vier Jahre hat die Architekturfotografin Johanna Klier die Umbrüche an der Großen Bergstraße mit der Kamera begleitet. Ab Dienstag zieht sie mit einer Ausstellung Bilanz
VON ROBERT MATTHIES
Hoffnungsfroh war man im Herbst 1966 bei der Einweihung der ersten großstädtischen Fußgängerzone Westdeutschlands in der Neuen Großen Bergstraße. Endlich werde dem Bedürfnis der Altonaer Rechnung getragen, ein „Einkaufszentrum mit Citycharakter zu besitzen“, freute sich das Hamburger Abendblatt. In den Anfangsjahren war das „Einkaufsparadies für Hausfrauen“ auch beliebt: Zwei Jahre später begann man in der Großen Bergstraße mit dem Bau der Ladenpassage Forum und des monumentalen Frappant-Gebäudes als Einkaufs- und Gastronomiezentrum nebst Kaufhaus.
Großes ist entstanden: 47.000 Quadratmeter Nutzfläche hatte der 1973 fertiggestellte Stahlbetonbau des Architekten Borhan Mohregi, fünf Ebenen mit Geschäften und Boutiquen, einer Discothek und einem Trimm-dich-Raum. Bis in die Nacht hatte die Gastronomie im Haus geöffnet, auch nach Ladenschluss sollte es hier lebendig sein. Aber das Konzept ging nicht auf, die kaufkräftige Kundschaft blieb aus, schnell standen ganze Etagen leer. Alle Umbaupläne der folgenden Jahre schlugen fehl und Mitte der 1990er-Jahre waren schon ganze Gebäudeensembles verwaist.
Ein neues Gesicht
Ab 2003 kamen dann die Künstler als Zwischennutzer und sollten die verödete Straße kulturell wiederbeleben. Doch auch damit war schnell Schluss. Seit 2009 verändern Abrisse, Sanierungen und Großbauprojekte Struktur und Gesicht der Großen Bergstraße massiv. An der Stelle des modernistischen Frappant-Klotzes steht heute verheißungsvoll strahlend die erste City-Filiale des schwedischen Möbelhauses Ikea.
Vier Jahre lang hat die Architekturfotografin Johanna Klier die Umstrukturierung an der Großen Bergstraße mit der Kamera begleitet. Ab Dienstag zieht sie in der Ausstellung „Vom Zustand der Stadt“ Zwischenbilanz. Zunächst habe sie nur das Frappant fotografieren wollen. Aber schnell sei klar geworden, dass es um mehr gehen müsse. „Ein Kaufhaus wird von einem anderen Kaufhaus abgelöst, das ist ein Prozess, den ich städtebaulich interessant finde. Es wiederholt sich etwas, aber es erscheint anders, ist Ausdruck einer anderen Zeit“, erklärt Klier. „Das Spannende an der Architekturfotografie ist, dass man immer etwas ablesen, Kontexte herstellen kann.“
Darin folgt Klier Henri Lefebvre: Jede Veränderung in der gesellschaftlichen Produktionsweise drücke sich unmittelbar aus, sei am Terrain sicht- und ablesbar. Architektur mache so abstrakte gesellschaftliche Verhältnisse begreifbar, formulierte der französische Soziologe 1970 in „La révolution urbaine“.
Es ist dieses Neben- und Durcheinander verschiedener Zeiten, die 115 mit einer 4x5-Zoll-Großformatkamera aufgenommene Fotografien eindrucksvoll dokumentieren. „Wie das Frappant gestaffelt in den Raum gebaut war, daran erkennt man, welche Gedanken man sich bei der Gestaltung des Raums gemacht hat. Da gab es große Visionen, wie die Stadt aussehen sollte, da sind soziale Bedürfnisse berücksichtigt worden, da geht es um Licht, um Luft, um Sichtachsen“, sagt Klier.
Heute sei der Umgang mit dem Raum ein anderer. Wie ein gelandetes Ufo wirke das Ikea-Gebäude noch inmitten des schmutzigen 70er-Jahre-Charmes. Ein Gebäude, das vor allem seinen Zweck als Möbelhaus erfülle. „Das Frappant stand anders im Raum, es hat sich nicht so hereingedrängt, wirkte trotz seiner Massivität filigran“, sagt Klier. „Das Ikea-Gebäude ist ein Block. Der Bezug zum Raum ist nicht mehr so wichtig, es geht vor allem um Wirtschaftlichkeit.“
Dabei ist es das Nebeneinander großformatiger Bilder und kleiner, eher unscheinbarer Aufnahmen, das ungewöhnliche Blicke auf die Veränderungen zulässt. Beeindruckend viele Details kann man da auf einem großen, hochaufgelösten Bild erkennen, das Klier auf dem Dach des benachbarten Hochhauses aufgenommen hat. Deutlich sieht man, wie der Stadtteil sich in die Umgebung fügt, welches Ausmaß die Veränderungen haben. Andere Aufnahmen erzählen die kleinen Geschichten, zeigen, was hier über lange Jahre gewachsen ist und nun einem neuen Modell weichen muss wie jener Baum, gegen dessen längst erfolgtes Fällen noch vor Kurzem protestiert wurde.
Anwohner im O-Ton
Verstehen kann man das nicht, ohne den Kontext zu kennen. Was auf Kliers Bildern nicht zu erkennen ist, erfährt man im Rahmenprogramm: Ein Soundwalk verarbeitet die Konflikte akustisch und kurze Filme lassen Anwohner zu Wort kommen Die Wahrnehmungs- und Planungsgeschichte thematisiert ein Vortrag der Architekturhistorikerin Sylvia Necker und die Soziologin Ellen Bareis lädt ein, selbst ethnografische Notizen zu machen.
■ Eröffnung: Di, 26. 8., 19 Uhr, Große Bergstraße 148, bis Fr, 5. 9., tägl. 15 bis 20 Uhr