: Bloß weg damit
ITALIEN Durch ein Abkommen mit der tunesischen Regierung hofft Italien, den Zustrom weiterer Flüchtlinge zumindest aus Tunesien zu verhindern. Und diejenigen Flüchtlinge, die bereits im Land sind, sollen Italien in Richtung Norden verlassen
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Womöglich 250 Tote forderte ein Schiffsunglück, das sich in der Nacht zum Mittwoch etwa 70 Kilometer vor Lampedusa ereignete. Italienische Retter konnten 48 Menschen aus den Fluten bergen.
Auf dem Fischerboot, das wohl von Libyen aus in See gestochen war, sollen 300 Menschen gewesen sein, darunter auch Kleinkinder, wie die International Organization for Migration mitteilte. Sie sollen aus Eritrea, Somalia und einigen schwarzafrikanischen Ländern wie der Elfenbeinküste gekommen sein.
Von Bord war über Satellitentelefon ein Notruf nach Malta herausgegangen, worauf sich auf Bitten der maltesischen Behörden von Lampedusa aus zwei Patrouillenschiffe und ein Hubschrauber auf die Suche machten. Das Boot kenterte in schwerer See um vier Uhr früh, als das erste Rettungsschiff versuchte, Flüchtlinge an Bord zu nehmen, womöglich weil die Menschen in Panik auf eine Seite des Boots drängten und es so zum Kentern brachten.
Am Mittwochvormittag sichtete ein Hubschrauber 20 im Meer treibende Leichen. Ihre Bergung ebenso wie die Suche nach Überlebenden gestaltete sich jedoch angesichts des heftigen Nordwestwinds und des hohen Seegangs mit drei Meter hohen Wellen als schwierig.
Trotz des Unglücks setzte sich der Flüchtlingszustrom auf Lampedusa weiter fort. Allein in der Nacht auf Mittwoch kamen dort 351 Menschen an. Damit hielten sich wieder etwa 1.500 Flüchtlinge auf der Insel auf, nachdem die italienische Regierung bis zum Montag das Gros der oft unter unwürdigen Bedingungen dort campierenden Tunesier in Übergangslager auf Sizilien und dem Festland geschafft hatte.
Allerdings gibt sich die italienische Regierung überzeugt, dem weiteren Zustrom von Bootsflüchtlingen wenigstens aus Tunesien Einhalt gebieten zu können – und zwar dank eines am Dienstag zwischen Innenminister Roberto Maroni und der tunesischen Regierung geschlossenen Abkommens. Italien zeigt sich mit dem allerdings bloß als „Protokoll“ eingestuften Abkommen bereit, den seit Januar übers Mittelmeer gekommenen gut 20.000 Tunesiern eine Aufenthaltserlaubnis zu geben. Das aus humanitären Gründen gewährte Bleiberecht ist zunächst auf sechs Monate begrenzt, kann aber verlängert werden. Ausgenommen sollen nur diejenigen bleiben, die vorher in Italien straffällig geworden oder ausgewiesen worden waren.
Im Gegenzug, so Innenminister Maroni, werden in Zukunft alle aus Tunesien illegal Einreisenden – und diesen Status haben die meisten Bootsflüchtlinge, da kaum einer von ihnen Asyl beantragt – umgehend von Italien abgewiesen und nach Tunesien zurückgeschafft. Die Regierung in Tunis, die von einer schnellen Rücknahme ihrer bisher nach Italien gelangten Bürger nicht wissen wollte, habe dieser Regelung zugestimmt. Zugleich habe Tunesien sich verpflichtet, in Zukunft die Versuche zu unterbinden, von den dortigen Küsten Flüchtlinge nach Italien zu bringen.
Zudem stellt Italien den tunesischen Behörden Ausrüstungshilfe in Aussicht: Sechs Patrouillenboote und zehn Geländewagen sollen geliefert werden. Gemeinsame italienisch-tunesische Seepatrouillen hingegen lehnte Tunesien ab.
„Den Wasserhahn zudrehen und die Wanne ausleeren“ – auf diese Formel hatte Umberto Bossi, Chef der rechtspopulistischen Lega Nord, den Kurs gebracht, den er sich von der Regierung Berlusconi wünschte. In den letzten Tagen hatten sich die Auseinandersetzungen zwischen Italiens Regionen über die Aufnahme der Immigranten deutlich verschärft. Vor allem die Regionen des Nordens – die Lombardei, Piemont, das Veneto –, in denen die Lega Nord Regierungspartner ist – weigerten sich bisher, auf ihrem Territorium Sammellager einzurichten. Zugleich revoltierten etwa die Bürger im süditalienischen Städtchen Manduria dagegen, dass bei ihnen ein Zeltlager mit 1.700 Menschen belegt wurde.
Innenminister und Lega-Nord-Mitglied Maroni hofft nun, den Zustrom aus dem Süden einzudämmen und zugleich die legalisierten Flüchtlinge in Richtung Norden loszuwerden. Hätten sie erst einmal Aufenthaltspapiere, könnten sie ja „nach Frankreich oder Deutschland weiterreisen“, heißt es aus Regierungskreisen. Tatsächlich werden die Flüchtlingslager sehr lasch bewacht, sodass schon einige tausend Tunesier von dort entwichen und sich auf den Weg in die Grenzstadt Ventimiglia machten, um von dort nach Frankreich zu gelangen. Auch in Ventimiglia mussten sie nicht mit Kontrollen italienischer Beamter rechnen.