: Es fehlt die Probe aufs Exempel
KRANKHEIT Aus Angst vor einer Grippepandemie gab der Senat 2009 mehrere Hunderttausend Euro für Medikamente aus. Die Mittel wurden aber nie gebraucht – und ob sie wirksam sind, ist ungewiss
■ Aus Angst vor einer Influenza-Pandemie hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2009 alle Staaten aufgefordert, sich mit den Grippemitteln Relenza und Tamiflu zu bevorraten. Bremen gab für deren Anschaffung und Lagerung 935.783,44 Euro aus.
■ Eine im April vorgelegte Meta-Analyse des Cochrane-Instituts nährt Zweifel an deren Wirksamkeit: Ihr zufolge verkürzt Tamiflu die Symptomdauer bloß um 16,8 Stunden ohne die Komplikationen zu mildern.
■ Eine im Mai in The Lancet Respiratory Medicine publizierte internationale Studie weist dagegen mit Daten von 29.000 PatientInnen eine Senkung der Mortalitätsrate um 20, bei frühzeitiger Medikation sogar um 50 Prozent nach.
Der Bremer Senat hat in den Jahren 2006 bis 2009 etwas mehr als 900.000 Euro für Grippemittel ausgegeben. Diese Grippemittel wurden nicht gebraucht und laufen 2016 ab. Das geht aus einer Antwort des Senats an die Linksfraktion hervor. Die hatte im Juli eine Anfrage gestellt, um die Kosten der Anschaffung und Lagerung der umstrittenen Medikamente Tamiflu und Relenza zu erfahren.
„Schon im Jahr 2000 hat eine Kommission von Krankenkassen und Ärzten gesagt, dass Tamiflu ein entbehrliches Mittel ist, das man eigentlich nicht bräuchte“, sagt Peter Erlanson, Gesundheitssprecher der Linksfraktion. Die Anschaffung sei das Ergebnis vorzüglicher Lobbyarbeit der Pharmaindustrie. Die Linke wolle jetzt noch eine Anfrage nachschieben, um herauszufinden, wer für den Kauf verantwortlich war.
Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion Rainer Bensch verteidigt den Grippemittelkauf. „Man hat die Medikamente damals ja nicht aus Spaß angeschafft“, sagt er. Die Gesundheit der Bevölkerung sei ein hohes Gut. „Die Menschen sind immer erst bereit, Geld auszugeben, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.“ Stephanie Dehne, Referentin des Senators für Gesundheit, sagt, es sei ein gemeinsamer Beschluss der Bundesländer gewesen, die Grippemittel zu kaufen. Damals sei man allerdings „von einer höheren Wirksamkeit von Tamiflu ausgegangen“.
Hintergrund der Linken-Anfrage ist eine Studie des Wissenschaftler-Netzwerks „The Cochrane Collaboration“. Auf deren Website schreibt Studienleiter Tom Jefferson, Tamiflu würde die Grippesymptome nur um etwa einen halben Tag verkürzen, jedoch nicht Krankenhauseintritte oder Lungenentzündungen unwahrscheinlicher machen. Stattdessen erhöhe das Medikament jedoch das Risiko der PatientInnen, unter Übelkeit zu leiden.
Angesichts dieser neuen Studie wolle Bremen die Frage, ob man nach dem Verfall der Medikamente neue Vorräte anschaffen sollte, auf der Gesundheitsministerkonferenz im Herbst ansprechen, so Dehne. Sie halte es aufgrund der neuen Erkenntnisse aber für unwahrscheinlich, dass nach 2016 ein Ersatzvorrat angelegt wird. CATIANA KRAPP