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Archiv-Artikel

„Professioneller werden“

Morgen beginnt die Leipziger Buchmesse, Freitag wird dort der „Preis der Literaturhäuser“ verliehen. Ein Gespräch mit Jurymitglied Thomas Böhm darüber, wie gute Literaturvermittlung aussieht

ZUR PERSON

Thomas Böhm, Jahrgang 1968, ist Programmleiter vom Literaturhaus Köln. Er ist Mitglied der Jury für den Preis der Literaturhäuser und hat über Autorenlesungen Bücher herausgegeben Unter anderem den Band „Auf kurze Distanz. Die Autorenlesung: O-Töne, Geschichten, Ideen“ und zuletzt „Weltempfang. Panorama internationaler Autorenlesungen“, beide im Tropenverlag. Zudem ist Thomas Böhm Initiator der Homepage www.lesungslabor.de.

INTERVIEW WIEBKE POROMBKA

taz: Herr Böhm, in diesem Jahr wird schon zum sechsten Mal der „Preis der Literaturhäuser“ verliehen. Und zwar für eine besonders gelungene Form der Literaturvermittlung. Was ist denn damit gemeint?

Thomas Böhm: Es geht um das Zusammenspiel von Textqualität und Vortragsform bei einem Autor, um die Art und Weise, wie über Texte gesprochen und wie überhaupt die Literatur erschlossen wird. Es ist also keineswegs ein Preis für eine ausgefallene Performance. Wichtig ist, dass unterschiedliche Ebenen in die Vermittlung einbezogen werden: die literarische, die sinnliche und die intellektuelle. Deshalb sind der Text, der Vortrag und das Gespräch gleich wichtig.

Aber ist dieses klassische Format der Autorenlesung nicht längst überholt? Der Trend geht doch immer mehr in Richtung Massenevent, bei dem schon die ausgefallene Performance zählt.

Na ja, auch bei den sogenannten Events finden ja auch meist nur Lesung und Gespräch statt. Klassisch sind Autorenlesungen schon deshalb, weil es darum geht, die Autoren ihre Werke lesen und darüber sprechen zu hören. Das ist ein jahrtausendelang bewährtes Konzept. Nur verlangt das eine inhaltliche genaue Vorbereitung seitens der Veranstalter, damit die Lesung mehr ist als eine Werbeveranstaltung für ein Buch. Und hier kommt dann die Unterscheidung: Denn bei Events mit hundert Veranstaltungen in zehn Tagen bleibt die detaillierte, inhaltliche Vorbereitung zwangsläufig auf der Strecke. Fragen Sie doch mal die Festivalmacher, die kennen nicht ein Zehntel der Bücher, die sie vorstellen.

Das scheint die Besucher wenig zu stören.

Das glaube ich nicht. Ich bekomme eher das Gegenteil mit. Nach dem großen Literaturfestival hier in Köln habe ich Dutzende Beschwerden über schlechte Veranstaltungen gehört.

Sind literarische Großevents also eine vorübergehende Mode?

Wenn Großveranstaltungen professionell vorbereitet werden, wie das bei anderen Künsten ja längst der Fall ist, dann haben sie ihre Berechtigung. Nehmen Sie die Berlinale oder die Kunstbiennalen. Die stellen jeweils den state of the art vor. Diese Professionalität ist aber auf dem Gebiet der Literatur vor allem wegen des Zeitaufwands im Umgang mit Büchern schwer zu erreichen. Bildende Kunst und Musik kommen ohne Sprache aus. Aber grundsätzlich gilt: Alles, was in Richtung Professionalisierung von Literaturvermittlung führt, ist zu begrüßen und wird alle anderen Projekte tatsächlich als Mode erscheinen lassen.

Aber was wäre denn professionell?

Zum Beispiel müsste man an der Entwicklung anderer Formate arbeiten: etwa literarische Werkschauen, Konzeptlesungen. Aber auch über Moderationsstile müsste man nachdenken. Besonders bei Lesungen mit internationalen Autoren. Man müsste auch ein Bewusstsein für die Lesungssituation selbst schaffen: für einen anderen Umgang mit Autoren, weg von Präsentation zu Kooperation. Und dann: die Diskussion über Inhalte, Stile, Ziele der Lesung. Genauso wie wir beide sie gerade führen. Denn diese Diskussion hat ja lange nicht stattgefunden. Und auch nicht das Nachdenken über eine mögliche Formensprache der Lesung.

Müssen nicht auch die Autoren selbst professioneller werden – also event- oder performancekompatibler?

Sie sind bereits professioneller geworden. Auch weil Mitte der 90er-Jahre eine Autorengeneration die Bühnen betreten hat, die mit Popkonzerten aufgewachsen ist. Außerdem haben viele Autoren erkannt,welches Potenzial Lesungen haben, um sich ein Lesepublikum zu schaffen. Was aber grundsätzlich die Performance angeht, das war und ist immer ein spezieller Strang, den es spätestens seit Dada gibt.

Was sollte denn das Ziel einer gelungenen Lesung sein?

Konkret kann man das Ziel nicht benennen. Genauso wenig wie man das Ziel der Literatur benennen kann. Es geht um Erfahrungen. Mit Ted Hughes gesagt: Man muss die innere Musik des Autors erfahrbar machen. Das Verhältnis zwischen seiner oder ihrer Biografie und dem Text und die Erfahrungen und Erkenntnisse, die sie beim Verfertigen ihrer Texte gewonnen haben. Mein Ziel als Veranstalter ist es, zu vermitteln, dass Autoren ihre Arbeit für existenziell wichtig und für eine Bereicherung ihres Lebens halten und wie sich das in der inneren Musik verbindet.

Der Preis der Literaturhäuser wird am Freitag auf der Leipziger Buchmesse verliehen, auf einem Massenevent …

Der Preisträger wird dort nur bekannt gegeben! Die Verleihung findet erst im April und Mai in acht Literaturhäusern statt.