: Straße zu vermieten
BRÜCKENSTRASSE Einst war die Brückenstraße in Schöneweide berüchtigtes Nazi-Terrain mit der Kneipe „Zum Henker“ als zentraler Anlaufstation. Nach dem Aus der Kneipe und anderer Nazi-Läden hoffen die Anrainer auf einen zaghaften Wandel des Standorts
VON MARINA MAI
„Zu vermieten“ steht an einem Schild hinter der Fensterscheibe. Wer das Ladengeschäft mieten will, könnte darin gute Gastronomie betreiben. Denn die ist Mangelware in Schöneweide, einem Ortsteil im Bezirk Treptow-Köpenick. Man könnte Tische und Bänke aufstellen in den Innenhof oder vor das Lokal mit Blick auf die Spree.
Das Ladengeschäft mit Spreeblick ist seit April 2014 zu haben. Bis dahin saß darin die Kneipe „Zum Henker“, Berlins berüchtigster Nazitreff. Der Vermieter hat seinen unliebsamen Mieter vor dem Berliner Landgericht herausgeklagt. Die Metallverbarrikadierungen vor den Fenstern, die die Nazis vor neugierigen Blicken schützen sollten, sind inzwischen ebenso verschwunden wie Firmenschilder und Grafitti. Das Ladenlokal wartet auf seine neue Bestimmung.
Nicht nur der ehemalige „Henker“ in der Brückenstraße im Ortsteil Schöneweide steht leer. „Zu vermieten“ steht in der braunen Straße Berlins in Berlins Nazihochburg Schöneweide etwa hinter jedem zweiten Ladenlokal. Die Brückenstraße ist rund 300 Meter lang und führt vom S-Bahnhof Schöneweide zur Spree. Sie ist eine triste Straße, durch die laut die Straßenbahn ruckelt. Ein Mann führt seine drei Hunde Gassi. Eine Frau betritt gerade ein Optikergeschäft. Sonst sind keine Menschen auf der Straße. Wer nicht muss, verweilt nicht in der Brückenstraße. Wo auch? Nirgendwo stehen Bänke, nirgendwo lädt ein Café zu einer Pause ein. Auch die Studenten der nahen Hochschule für Technik und Wirtschaft rauschen in der Regel mit der Straßenbahn vom ein Kilometer entfernten Campus zum S-Bahnhof nonstop durch die braune Straße hindurch.
„Manchmal mache ich am Copyshop halt oder ich gehe hier zum Friseur, sonst habe ich in der Brückenstraße nichts zu tun“, sagt Maja Schreiber, eine 22-jährige Ingenieurstudentin vom anderen Spreeufer, die jeden Tag mit der Tram die Brückenstraße durchfährt. 15 Euro kostet der Haarschnitt in der Brückenstraße. „Das kann ich mir leisten. Und da nehme ich auch in Kauf, dass neben mir jemand frisiert wird, der rechte Parolen drischt.“
Auf Menschen, die verweilen, hofft indes Andy Jauch. Der 38-Jährige wurde im Bezirk Treptow-Köpenick direkt für die SPD ins Abgeordnetenhaus gewählt und eröffnet Ende August sein Wahlkreisbüro in der Brückenstraße. „Ich habe mich für den Standort entschieden, weil er in der Nähe eines für unseren Bezirk zentralen S-Bahnhofs liegt. Aber ich will in diesem schwierigen sozialen Umfeld auch die Sozialdemokratie repräsentieren und für Bürger ansprechbar sein“, sagt der Träger eines Dreitagebartes.
Dabei denkt der SPD-Mann vor allem an die zahlreichen Nichtwähler in Schöneweide. „Gerade da, wo Leute keine Parteien mehr wählen, müssen demokratische Parteien Präsenz zeigen.“ Jauch will einen Teil der Lücke füllen, die durch den Wegfall des „Henkers“, des Militarialadens „Hexogen“ von NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke sowie eines rechtslastigen Rockerclubs entstand. Und er hat zwei Büronachbarinnen, die das genau wie er wollen: Die Piratenabgeordnete Susanne Graf eröffnet diesen Monat gleich nebenan ihr Büro und wirbt im Ladenschaufenster bereits für „Ein Bett für Snowdon“, „Ein Herz für Hebammen“ und für lokale Antifa-Initiativen. Auch privat ist Graf nach Schöneweide gezogen.
Jauchs Nachbarin auf der anderen Seite, der Verein „Schöneweide kreativ“, vermarktete im Juli das Schöneweider Art Festival und holte dabei auf dem Wasserweg Berliner zur jungen Kunstszene am gegenüberliegenden Spreeufer. Andy Jauch: „Meine Nachbarinnen und auch zahlreiche Bewohner haben mich freudig begrüßt. Ich glaube, mit ihnen, Bewohnern und Gewerbetreibenden etwas in Schöneweide bewegen zu können.“ Dass es schwierig wird, weiß er. „Mit dem Wegfall der rechten Läden ist das rechte Gedankengut ja nicht aus den Köpfen weg.“
Länger als Jauch ist das Schöneweider Grillhaus in der Brückenstraße zu Hause. Die drei türkischen Betreiber haben vor zwei Jahren Antifas Zuflucht gewährt, die vor einem Naziangriff flüchteten. Mit dem Dönerspieß hielten sie die Nazis auf Abstand, bis die Polizei kam. Für diese Zivilcourage wurden sie von Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) geehrt. „Das war der einzige Vorfall in unserem Laden mit Nazis“, sagt einer der Betreiber der taz, der seinen Namen nicht nennen will. „Aber wir haben keine Angst vor Nazis oder irgendjemanden. Warum auch?“ Der Mann zeigt auf den Dönerspieß.
Gregor Gysis Büro
Noch länger hat der linke Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi sein Büro in der Brückenstraße. Eingerahmt ist es von zwei vietnamesischen Nagelstudios, die einzige Branche, die in der Brückenstraße zu gedeihen scheint. André Schubert, der Gysis Bürgerbüro verwaltet, hat festgestellt, dass sich das Klima in der Brückenstraße gewandelt hat. „Und das nicht erst seit dem Frühjahr, als die Naziläden schlossen“, sagt er. „Denn machen wir uns nichts vor, Schmidtke ist ja ausgezogen, weil er zu wenig Kundschaft hatte.“ Schubert zählt auf: Die Zeiten, in denen jeden Monat Gysis Fensterscheibe zu Bruch ging, sind vorbei. „Die letzte kaputte Scheibe hatten wir vor eineinhalb Jahren. Seitdem ist Ruhe.“ Der Mittvierziger, der von Beruf Klempner ist und keine Berührungsängste mit Dreck hat, erinnert sich noch, wie vor Jahren fast täglich sein Arbeitstag begann: Zuerst musste er Fäkalien oder anderen Unrat von der Türklinke oder Fensterscheibe des Gysi-Büros entfernen. „Das gibt’s jetzt kaum noch“, so Schubert.
Hans Erxleben vom bezirklichen Bündnis für Demokratie und Toleranz möchte aber noch keine Entwarnung für die Brückenstraße geben. „Nach wie vor wohnen in Schöneweide viele Nazigrößen“, weiß er. Und die würden sehr wahrscheinlich auch bleiben, denn in Schöneweide seien die Mieten noch erschwinglich. Das sei nicht nur NPD-Landeschef Schmidtke, sondern, so Erxleben, „eine deutlich zweistellige Zahl von Nazis“.
Und dass es neuerdings ruhiger geworden sei, könne auch damit zusammenhängen, dass Schmidtke derzeit Wahlkampfchef in Brandenburg ist. „Erst im Juli kam es in Schöneweide zu einem Angriff von Nazikadern auf zwei mutmaßliche Szene-Aussteiger“, sagt er. Die Aussteiger, denen unterstellt wurde, vor Gericht zu „quatschen“ und zu „spalten“, wurden mit Schlagstöcken verprügelt. Eines der Opfer erlitt einen Nasenbeinbruch.