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Archiv-Artikel

DRAXLER DEBÜTIERT MIT EINEM FANBUCH Irrwitziger Ernst

Kulturbeutel

ANDREAS RÜTTENAUER

Gudrun Kuklies unterrichtet Englisch am Heisenberg-Gymnasium in Gladbeck. Das wissen seit vergangener Woche nicht nur all diejenigen, die bei ihr Unterricht hatten oder haben. Sie hat sich einen Eimer eisigen Wassers über das Haupt gießen lassen, nachdem sie von einem ihrer ehemaligen Schüler für die derzeit beinahe allgegenwärtige Ice Bucket Challenge nominiert worden ist – von Julian Draxler, dem Fußballer und Schalker Jung-Idol, der sich seit Anfang Juli Weltmeister nennen darf. Weil also nichts unbeobachtet bleibt, was ein Weltmeister macht, ist Frau Kuklies ein Thema für die Lokalmedien geworden. Nicht nur die stürzt sich begierig auf weltmeisterliche Sätze aus dem Munde Julian Draxlers und seien sie noch so wenig sagend wie: „Fakt ist, dass wir alle mehr in unser Spiel investieren und deutlich mehr Laufbereitschaft zeigen müssen.“ Oder: „Wir müssen uns jetzt zusammenreißen und den Negativtrend stoppen.“ Fußballersätze eben.

Bei all diesen oft zitierten und zu wahren Wichtigkeiten aufgeblasenen Banalitäten ist es beinahe schon verwunderlich, dass Julian Draxlers Ruhm so gut wie gar nicht auf seinen Cousin abgestrahlt hat. Martin Draxler hat gerade seinen ersten Roman veröffentlicht. „Der Himmel ist blau“, heißt der und ist ein irrwitziger Versuch, die fundamentalistisch-religiöse Liebe zum Fußball im Ruhrgebiet zu beschreiben (Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2014).

Klischeefalle schnappt zu

Die hauptsächlich handelnden Personen sind – wie kann es anders sein? – Anhänger des FC Schalke 04. Sie sind – Achtung, Klischeefalle – Malocher. Die Entscheidung des Ich-Erzählers mit Namen – die Klischeefalle schnappt schon wieder zu – Acki, eine Banklehre zu machen, kostet diesen beinahe jede soziale Anerkennung in der Clique aus seiner Stammkneipe in Gelsenkirchen. Gut, dass er irgendwann zum Truckerfahrer umschult und sich so ein wenig Arbeiterglaubwürdigkeit verschafft. Die braucht er, um sich abzusetzen von den Typen in Hemd und Krawatte, die eines Tages in dieser Stammkneipe auftauchen und am Ende jenes Tages die Geschäftspapiere, über denen sie saßen, aus tiefen Bierlachen ziehen müssen.

Eine heile königsblaue Welt ist das übrigens nicht, die da geschildert wird. Jede Menge großer Dramen spielen sich in der kleinen Welt von Ackis Clique ab. Der eine säuft und kann schon lange nicht mehr ohne Stoff, auch weil er lange schon keinen Job – Klischee? – mehr hat. Der andere liebt zwar seine Frau, kann aber nicht anders, als immer wieder eine andere aufzureißen, und verstrickt sich in immer wildere Lügereien.

Typische Schalker Fans?

Acki selbst wird depressiv, nachdem er mitansehen musste, wie seine Schwester an Krebs gestorben ist. Ganz schlimm aber wird alles erst, als die Freunde erfahren, dass aus der längst stillgelegten Kokerei, auf deren Gelände sie seit Jugendzeiten Fußball spielen, ein Museum für Industriekultur errichtet werden soll. Acki und seine Freunde schmieden einen irren Plan zur totalen Zerstörung der Kokerei, um die Museumspläne zu verhindern. In der Tat machen sie dabei alles kaputt. Einer der Irren stirbt bei der Aktion, die anderen, auch Acki, wandern in den Knast. So richtig schlimm können sie das nicht finden, sie haben schließlich irgendwie auch etwas Gutes für den Fußball tun wollen und außerdem bleibt der Himmel über dem Gefängnishof blau – wie Schalke.

Typische Schalke-Fans werden das schon nicht sein, die Martin Draxler da gezeichnet hat, mag man nach der Lektüre hoffen. Der tiefe Ernst der Fußballliebe im Ruhrgebiet wird allzu übertrieben geschildert. Dass es ihn gibt, soll an dieser Stelle gar nicht bestritten werden. „Konzentrieren auf den Fußball und nicht so ein Schwachsinn da treiben“, kommentiert Facebook-User Ernst (!) das Eiswasservideo, das Julian Draxler auf seine Seite gestellt hat. Nein, Fußball ist im Ruhrgebiet kein Spaß, weltmeisterliche Sätze wie „Fakt ist, dass wir alle mehr in unser Spiel investieren und mehr Laufbereitschaft zeigen müssen“, sind wirklich wichtig und Lehrerin Kuklies war in der Tat für einen Tag eine echter Star in Gladbeck. Ihr Eiswasservideo, das die WAZ online gestellt hatte, war am 25. August wegen zu vieler Klicks zeitweise nicht abrufbar. „Wir arbeiten an dem Problem!“, postete die WAZ entschuldigend. Probleme gibt’s!