: Surfen für den Regenwald
ONLINE Ecosia ist eine Suchmaschine mit ökologischem Anspruch. Fünf Jahre nach ihrem Start steht sie kurz davor, die Marke von zwei Millionen Euro Spenden zu knacken. Den Betrag hat die Schöneberger Firma für die Aufforstung des Regenwaldes gespendet. Doch für Nutzer spielen vermehrt auch Themen wie Datenschutz eine Rolle
VON SVENJA BERGT
Einerseits ist Christian Kroll ein typischer Start-up-Gründer: Erster Versuch gescheitert, zweiter Versuch halb gescheitert, dritter Versuch erfolgreich. Andererseits hat Christian Krolls Unternehmen so gar nichts von vielen der heutigen Start-ups. Denn nach seinem BWL-Studium wollte Kroll nicht das machen, was man ihm beigebracht hatte. Sondern am besten genau das Gegenteil. Es wurde dann – typisch Start-up – etwas Technisches. Eine Suchmaschine. Die – untypisch – den Regenwald retten soll. Ecosia.
Christian Kroll sitzt in ziemlich ausgewaschenem T-Shirt und ziemlich ausgelatschten Espandrilles in einem Erdgeschossbüro in Schöneberg. In vier Räumen hat sich seine kleine Firma hier mittlerweile eingerichtet, mit Tischtennisplatten als Schreibtischen, alten Sesseln und Weinkisten vom Laden um die Ecke. In der Küche riecht es nach Kaffee. Nur eine Tür ist geschlossen, zu einem Raum hinten links. Dort werkeln die Programmierer.
Wer Krolls Geschäftsmodell verstehen will, muss wissen: Das Internet als solches ist eine stromfressende Angelegenheit. Es gibt riesige Serverfarmen, auf denen Daten gespeichert und verarbeitet werden. Verbundende Hochleistungsrechner, die Suchanfragen in Millisekunden beantworten. Und unzählige Klimaanlagen, die dafür sorgen sollen, dass die Abwärme der Geräte nicht dazu führt, dass alles binnen Stunden schmilzt. Das verbraucht Strom und verursacht Emissionen. Jede versendete E-Mail. Jedes Aufrufen einer Website. Jede Suchabfrage. Der Nutzer hat normalerweise kaum Möglichkeiten, auf seinen ökologischen Fußabdruck im Netz Einfluss zu nehmen. Klar, keine unnützen Suchanfragen – aber sich seinen E-Mail-Provider nach dessen Stromversorger auszusuchen, ist weder naheliegend noch einfach.
Alternative zu Google
Dieses Dilemma macht sich Krolls Unternehmen zunutze. Die Idee: Mit dem Betrieb der Suchmaschine Ecosia fließen Werbeeinnahmen an die Firma. Sie zieht davon die Kosten ab, die sie für den Betrieb braucht – für Personal, Miete, Technik, Kaffee, insgesamt etwa 20 Prozent der Einnahmen – und spendet den Rest. Das summiert sich: Seit fast fünf Jahren ist die Suchmaschine mittlerweile in Betrieb, demnächst wird der zweimillionste Euro gespendet werden. 60.000 bis 70.000 Euro gehen mittlerweile monatlich an ein brasilianisches Regenwaldprojekt des Nature Conservancy, einer der größten Naturschutzorganisationen der USA. Zusätzlich kauft die Firma CO2-Zertifikate, um die Emissionen, die bei der Suche über die Yahoo-Server entstehen, auszugleichen.
„Berlin ist in Europa gerade der beste Standort für Start-ups, vor allem, wenn es um grüne Sachen geht“, sagt Kroll, der aus Wittenberg stammt. In Deutschland sei der Umgang mit Nachhaltigkeit deutlich fortgeschrittener als anderswo, das Interesse, etwas für die Umwelt zu tun, größer. Sein Unternehmen, von dem mittlerweile sieben feste Mitarbeiter leben, beschreibt er als „grüne Google-Alternative“.
Mit dem Technologiekonzern aus Kalifornien hat Ecosia trotzdem nicht viel gemein. „Ich wollte auf keinen Fall diese typische BWL-Karriere machen“, sagt Kroll. Das hat nicht nur Auswirkungen auf sein Geschäftsmodell, sondern auch auf die Unternehmensphilosophie: Bahn fahren statt fliegen, vegetarisch kochen, Ökostrom. Er selbst versucht sich im Konsumverzicht, hat seit zwei Jahren keine neue Kleidung mehr gekauft. Zudem zeigt sich das Unternehmen für eine GmbH ungewöhnlich transparent: So hat Kroll nicht nur die Spendenbescheinigungen veröffentlicht, demnächst sollen auch die Finanzen komplett offengelegt werden.
Das mit der Transparenz hat vor allem einen Hintergrund: Bedenken beseitigen. „Potenzielle Nutzer befürchten häufig, dass sich da jemand das Geld in die eigene Tasche steckt“, sagt Kroll. Ein IT-Unternehmen, das behauptet, Gutes zu tun – da ist die Skepsis erst einmal groß.
Beim Vorgängermodell von Ecosia, Forestle, hatte Kroll zunächst mit Google kooperiert. Der Marktführer bei der Internetsuche sollte dafür sorgen, dass möglichst viele Nutzer umsteigen. Doch die Kooperation währte nicht lange. Googles Befürchtung laut Kroll: Wenn sich die Höhe von Forestles Spenden nach den Werbeeinnahmen richtet, dann würden Nutzer ohne Kaufabsichten auf die Werbelinks klicken. Das ist aber nicht im Interesse der Werbekunden – und damit nicht im Interesse von Google. Kroll setzte zwar einen Hinweis auf die Seite, der Nutzer darum bat, nur dann auf die Werbelinks zu klicken, wenn wirklich ein Interesse bestehe. Trotzdem musste ein neuer Partner her: Yahoo.
Gut 500.000 Suchanfragen erhält Ecosia nun täglich, Tendenz leicht steigend. Doch die Snowden-Kurve – das rapide Ansteigen des Zulaufs nach Juni 2013, das datenschutzfreundliche Suchmaschinen vermeldeten – blieb aus. Bei Duckduckgo etwa hat sich die Zahl der Suchanfragen nach den ersten Snowden-Enthüllungen in einem halben Jahr mehr als verdoppelt, auf über 4 Millionen Anfragen täglich. Bei Startpage stieg die Zahl der Suchanfragen damals innerhalb einer Woche um 500.000 auf über 3 Millionen pro Tag. Beide Suchmaschinen setzen auf Datensparsamkeit: So verwenden sie keine Cookies und speichern keine IP-Adressen der Suchenden. Das ist interessant für alle, die im Internet möglichst anonym unterwegs sein wollen.
Bei Ecosia sind die Suchenden nicht anonym. Denn das Unternehmen speichert sowohl die IP-Adresse des Nutzers als auch den Browsertyp und die Suchanfrage. Die Daten gehen auch an den Partner Yahoo. Dazu kommen Cookies, die Nutzer eindeutig identifizieren, unter anderem, um den Zähler, der Nutzer über die Zahl der gepflanzten Bäume informiert, auf dem aktuellen Stand zu halten. Die gesendeten Daten konnten bis vor Kurzem auch Dritte mitlesen, die Suchanfrage lief unverschlüsselt ab.
Laut Kroll ist die Entscheidung gegen Privatsphäre und für den Regenwald eine bewusste – zumindest zum Teil. „Ich sehe den Umweltschutz als höhere Priorität als den Datenschutz.“ Andererseits habe Yahoo klare Bedingungen für eine Kooperation genannt: Suchergebnisse nur gegen IP-Adresse. Ohne persönliche Daten also keine Baumpflanzungen.
Trotzdem. „Wir könnten privacymäßig sicher mehr machen“, gibt Kroll zu. Die Mitarbeiter sitzen daran, zumindest einen Punkt auf ihrer To-do-Liste abhaken zu können: die Verschlüsselung der Suchanfragen. Derzeit werden die Server umgestellt. Zwar wissen dann immer noch Ecosia und Yahoo, wer da was sucht, doch Dritte können die Abfragen unterwegs künftig nicht mehr mitlesen.
Nunu Kaller, Konsumentensprecherin bei Greenpeace, findet auch noch einen ökologischen Haken. Denn Ecosias eigene Server sind alles andere als grün. Sie stehen in einem Rechenzentrum von Amazon in Irland – nichts mit Ökostrom. Ecosia gleicht zwar auch hier die Emissionen durch den Kauf von Zertifikaten aus, doch ökologisch gesehen ist das schlechter als die direkte Nutzung von mit Ökostrom betriebenen Servern. „Grüne Rechenzentren hier bieten derzeit noch nicht, was wir brauchen“, sagt Kroll. Zum Beispiel eine flexible Anpassung an die Serverlast – wichtig, wenn die Zahl der Suchanfragen stark schwankt.
Mit seinen fast fünf Jahren und einem fünfstelligen Spendenbetrag pro Monat hat sich Ecosia etabliert, wenn auch bislang nur in der Nische. „Ich denke, es ist realistisch, dass 10 Prozent der Deutschen mit Ecosia suchen“, sagt Kroll. In greifbarer Nähe ist dieses Ziel noch nicht. In Deutschland liegt der Anteil der Suchanfragen, die nicht über Google, Yahoo oder dessen Partner Bing laufen, derzeit bei gut 2 Prozent.