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Archiv-Artikel

Die Zweifelnden

NEIN In einer symbolischen Abstimmung beschloss der Bundestag die Lieferung von Waffen in den Nordirak. Doch einige Abgeordnete lehnten diese Art von Unterstützung ab und gaben ihre Skepsis zu Protokoll

Zu gut gemeint

„[…] Die bestialischen Gräueltaten des ISIS machen auch mich sprachlos. Wir sehen Dörfer, in denen alle männlichen Bewohner hingerichtet werden, ihre Köpfe aufgespießt als Warnung ins Nachbardorf getragen werden; die Frauen werden verschleppt, verkauft oder zur Zwangsprostitution gezwungen.

[…] Jedoch komme ich in meiner Abwägung zu einem anderen Schluss und werde deshalb dem Entschließungsantrag nicht zustimmen können, auch wenn ich alle humanitären Forderungen des Antrags nahtlos teile bzw. darüber hinaus noch weiteres Engagement und die Aufnahme von Flüchtlingen einfordere.

[…] Waffenlieferungen sehe ich hingegen nicht als eine zielführende Lösung an, zumal im Gegenzug auch der ISIS über ausreichend Nachschub an Waffen zu verfügen scheint und wir womöglich schon bald mit neuen Forderungen nach größeren Waffen konfrontiert sein werden. Alles unter dem Aspekt, dass es auch um europäische Sicherheitsinteressen geht. Auch die Frage der künftigen Verwendung der nun „gut gemeint“ gelieferten Waffen ist für mich ein wichtiges Argument gegen die Lieferung. […] Angesichts des Mordens und Leidens habe ich mir die Abwägung meiner Entscheidung nicht leicht gemacht und gestehe, dass meine Abwägungsentscheidung am Ende knapp ausgefallen ist.

[…] Niemand weiß, ob wir das Richtige tun. Mich haben die Argumente für eine Waffenlieferung am Ende mit mehr Fragen als überzeugenden Antworten zurückgelassen.“

Dirk Becker, 48, Verwaltungsbeamter aus Detmold, für die SPD seit 2005 im Bundestag Foto: Susie Knoll, Florian Jänicke

VON ASTRID GEISLER

Es war eine der umstrittensten Entscheidungen der schwarz-roten Bundesregierung, ihre Tragweite ist selbst für Fachleute schwer abzuschätzen: Deutschland liefert Waffen in den Nordirak, die ersten sollen bis Ende des Monats die Krisenregion erreichen.

Zu viele Kämpfe

„Die Frage, ob deutsche Waffen in den Irak zur Unterstützung im Kampf gegen die Terrororganisation ‚Islamischer Staat‘, IS, geliefert werden sollten oder nicht, ist für mich eine schwere politische und ethische Entscheidung. […] Es gibt keine richtige oder falsche Entscheidung in dieser Frage. Für beide Entscheidungen gibt es gute Gründe. […]

Ich betrachte die geplanten Lieferungen von Waffen mit großer Skepsis, da sie möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in einem innerirakischen Konflikt zwischen den drei großen Volksgruppen zum Einsatz gebracht werden oder an andere Gruppen missbräuchlich gelangen könnten. Meine Auffassung ist, dass der Schwerpunkt deutscher Politik auf einer politischen Regelung des Konfliktes liegen muss.

[…] Für mich ist auch klar, dass Deutschland in diesem leidvollen Konflikt nicht passiv bleiben kann. Meine persönliche Überzeugung jedoch ist, dass Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet keine Lösung sind. […] Wir haben in Nigeria, im Südsudan und an vielen anderen Orten der Welt ähnliche Konflikte. Wollen wir auch dorthin Waffen liefern, um die Zivilisten zu schützen?

[…] Nach Abwägung all dieser Umstände kann ich dem vorgelegten Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen nicht zustimmen.“

Markus Paschke, 51, Gewerkschafter aus Ostfriesland, seit 2013 für die SPD im Bundestag Foto: Susie Knoll, Florian Jänicke

Bei der symbolischen Abstimmung im Bundestag Anfang dieser Woche bekam der Antrag der Koalitionsfraktionen für die Weitergabe von Panzerabwehrrakten, Panzerfäusten, Sturmgewehren, Handgranaten und anderem Kriegsgerät zwar eine breite Mehrheit.

Doch auch in der SPD rangen einzelne Abgeordnete lange mit ihrem Gewissen, weil richtig und falsch für sie schwer abzugrenzen waren. Einige entschieden sich schließlich, mit Nein zu stimmen – gegen die Linie ihrer Fraktion.

Zu verstärkend

„Wenn sich die Bundesregierung für Waffenlieferungen an die kurdische Regionalregierung im Nordirak ausspricht, ist dies von dem Bestreben getragen, Menschenleben von Verfolgten zu retten, hiermit auch einen Beitrag zum Schutz der Staatlichkeit des Irak sowie für die Stabilität der gesamten Region zu leisten, die angesichts der IS-Terroristen in akuter Gefahr ist. Auch wenn ich dieses Bestreben teile, halte ich dennoch und gerade mit Blick auf die Stabilität der betreffenden Region Waffenlieferungen für falsch. Es besteht die konkrete Gefahr, dass die Waffen in die falschen Hände geraten oder den Konflikt ausweiten, statt die erforderliche Selbstverteidigung zu gewährleisten. […] Die gegenwärtige Situation im Irak verlangt […] auch militärischen Schutz der verfolgten Zivilisten. Hierfür bedarf es eines UN-Mandats und des Einsatzes von UN-Friedenstruppen. Interventionen ohne UN-Resolution oder durch einzelne Staatenbünde bergen die Gefahr neuer Konflikte und Bewaffnung. Vor diesem Hintergrund können Waffenlieferungen die Ausdehnung von Terror verstärken.

[…] Unsere Maßnahmen dürfen aber nicht zur Verstärkung eines terroristischen Nährbodens führen. Dem Entschließungsantrag kann ich aufgrund der darin mit enthaltenen Unterstützung durch Waffenlieferungen nicht zustimmen, teile aber ausdrücklich die zu humanitären Hilfen getroffenen Aussagen.“

Nina Scheer, 42, Geigerin und Juristin aus Geesthacht, zog 2013 für die SPD in den Bundestag ein Foto: Joachim E. Roettgers/Graffiti

In einer fraktionsinternen Probeabstimmung soll es 22 Gegenstimmen gegeben haben. Während der Sondersitzung des Bundestags kamen diese Abweichler nicht zu Wort. Da es keine namentliche Abstimmung gab, ist die exakte Zahl der Gegenstimmen aus der SPD nicht dokumentiert.

Zu unpräventiv

„Die heutige Entscheidung stellt mich vor ein unauflösbares Dilemma. Auf der einen Seite steht der Grundsatz, auf präventive Friedensarbeit und Diplomatie zu setzen und keine Waffen in Krisengebiete zu liefern. Andererseits können wir dem Morden nicht tatenlos zusehen. Eine mit unseren ethischen Grundsätzen zu vereinbarende widerspruchsfreie Lösung ist nicht möglich. Einerseits könnten Waffenlieferungen die Zeit des Mordens durch den IS verkürzen. Andererseits könnten Waffenlieferungen unüberschaubare Konsequenzen haben und – wenn die Rüstungsgüter in falsche Hände geraten – neue Konflikte auslösen oder verschärfen.

[…] Gerade weil wir vor einem Dilemma stehen, respektiere ich das Abstimmungsverhalten aller Kolleginnen und Kollegen. Denn wir alle verfolgen das gleiche Ziel – das Morden in der Region zu beenden. […] Aufgrund der möglichen Konsequenzen von Waffenlieferungen hat die Berliner SPD beschlossen, dass die Lieferung von Rüstungsgütern in Krisengebiete eine den Auslandseinsätzen vergleichbar einschneidende Maßnahme darstellt. Folglich muss der Tragweite friedens- und sicherheitspolitisch bedeutsamer Interventionen – wie der Neuaufnahme von deutschen Lieferungen von Rüstungsgütern an bzw. in Länder, die sich in akuten oder potenziellen Konflikten befinden – mit einem Parlamentsvorbehalt Rechnung getragen werden.

[…] Aus guten Gründen hat die SPD-geführte Regierung sich nicht am Irakkrieg beteiligt. Diesen Weg, von der deutschen Bevölkerung auf breiter Basis getragen, sollten wir fortsetzen und Krisengebiete grundsätzlich nicht mit Waffen versorgen – einen Präzedenzfall, der diesen Grundsatz gefährdet, wollen wir nicht schaffen. […] Das Dilemma, in dem wir uns zwischen „Keine Waffen in Krisengebiete und Friedensarbeit“ auf der einen und „Nicht zusehen, wie gemordet wird“ auf der anderen Seite befinden, können wir mit der anstehenden Entscheidung nicht auflösen. Im Augenblick sind wir eher Getriebene der Entwicklungen. Die Perspektive aber muss sein, eine präventive und von Diplomatie getragene Friedenspolitik zu gestalten. […] In Erwägung all dieser Gründe stimme ich dem Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD […] nicht zu.“

Cansel Kiziltepe, 38, Diplomvolkswirtin aus Berlin, seit 2013 für die SPD im Bundestag Foto: Susie Knoll, Florian Jänicke

Eine Reihe von SPD-Abgeordneten gaben allerdings nach der Plenardebatte persönliche Erklärungen zu Protokoll, in denen sie ihre Zweifel und Gewissenskonflikte offenlegen – und das Nein zu den Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga begründen.

Die taz dokumentiert Auszüge aus diesen schriftlichen Erklärungen.