Baden Sie doch Ihre Hände drin!

In der Ausstellung „Clips“ bekommen Künstler 20 Sekunden für die Selbstvermarktung – mehr gibt’s halt nicht in der Werbung

VON TIM ACKERMANN

Kunst machen ist sexy. Auf jeden Fall sexier als Biochemie, findet Mathieu Dagorn. Der Franzose hat seinen Beruf als Laborassistent aufgegeben, die Gumminöppel seiner Mikropipetten abgeschraubt und sie in Skulpturen verarbeitet. Jetzt ist Dagorn offiziell Künstler. Einer unter vielen. Und genau das ist sein Problem: die vielen anderen.

15 Minuten Ruhm wollte Andy Warhol noch jedem Menschen zubilligen. Heute ist der Konkurrenzdruck größer und die Ressource Zeit knapper. Die kleinste zu vergebende Einheit Ruhm liegt ungefähr bei 20 Sekunden. Das reicht, um im Fernsehen für Nougatcreme oder Tütensuppe zu werben. Und mehr Zeit haben Dagorn und 54 weitere Künstler auch nicht bekommen, um mit selbst gedrehten Filmchen in der Galerie Nord die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen. Ob sie die Mechanismen des Kunstmarktes beklagen oder kräftig in die Eigenvermarktung investieren – sie haben dafür alle exakt dieselbe Zeit: 20 Sekunden. Die Künstlerexistenzen schnurren zusammen zum Werbeclip.

„Clips“ heißt denn auch, naheliegend, die Ausstellung, in der sich, ebenfalls naheliegend, die Strategien der Produktwerbung spiegeln. Der Künstler Jörg Gerstenberg etwa lässt seine Qualitäten durch einen Vertrauen weckenden Uniformträger anpreisen. Motto: „Jörg Gerstenberg – da lass ick mein Jeld.“ Das erinnert ein wenig an die so authentischen Hausfrauen-Expertinnen, die früher im Fernsehen so schön das händepflegende Geschirrspülmittel umwarben. Bloß: Sollte die Kunst nicht eigentlich über solch profane Beutelschneiderei erhaben sein?

„Wenn Künstler für sich selber werben, hat das im Bewusstsein der Öffentlichkeit meist etwas Anrüchiges“, sagt auch Barbara Ueber. Dabei ist für die Kreativen das Klinkenputzen bei Galeristen und Sammlern fester Bestandteil des Arbeitsalltags. Die Idee für die Promotion-Schau hat Ueber gemeinsam mit ihrem Künstlerkollegen Herbert Christian Stöger entwickelt. Eigenwerbung mal ultratransparent. Wenn ein Besucher einen Clip besonders mag, findet er auf einem Tisch in der Ausstellung den zum Künstler gehörigen Katalog. „Wir sagen klipp und klar, dass wir uns anbieten“, so Ueber. „Aber gleichzeitig erheben wir mit den Filmen das Bewerben zur Kunstform.“

So mancher Clip setzt auf ausgeleierte Slogans: „Kontemplation und Spontaneität“, „Disziplin und Können“. Schöner und schräger werben da Petra Wimmer und Margit Greinöcker für „natürliche Frische in der Kunst“. Die beiden Österreicherinnen bekraxeln im Dirdl eine selbstgebaute Alpenkulisse und steigen über Leitern in die Fenster von Sennerhütten ein – Geierwally meets poppige Minzdrops. Wimmers und Greinöckers vortrefflich vermarkteter Ösi-Ethno-Kitsch wird in seiner visuellen Brachialität nur noch von Justin Sanchez getoppt. Der ziemlich fette Franzose räkelt sich in BH und superknappem Slip auf einem Motorrad, wie das Beste aller 0190-Girls, wobei er die Porno-Posen genüsslich ins Groteske verdreht. Nicht jeder Künstler wagt es, sich so forsch und trotzdem gekonnt als Medienhure anzubieten.

Trotz aller Liebeserklärungen an die manipulativen Methoden von Vorabend- und Late-Night-Fernsehen – „Clips“ ist keine seichte Konsumenten-Berieselung. In MTV-Geschwindigkeit jagt ein absurder Trailer den nächsten. Es ist schwierig, da den Überblick zu behalten: Wer war das noch mal, der diesen rollenden Projektraum im Eisenbahnwaggon anbietet? 20 Sekunden reichen selten, um einen Namen dauerhaft ins Gedächtnis zu meißeln. Das unterscheidet einen unbekannten Künstler dann eben doch von einer gut am Markt eingeführten Turnschuhmarke.

Kein Wunder, dass da so mancher Kreative von Selbstzweifeln geplagt wird. Das Leben des Künstlers – auch das zeigen die Clips – ist schnell ein Leben am Rande des Nervenzusammenbruchs. Mathieu Dagorn etwa formt eine Skulptur aus Laborhandschuhen und zermartert sich dabei das Hirn, ob Bildhauer immer dreckige Fingernägel haben müssen. Ulrike Helms, die in ihrem 20-Sekünder immer wieder das Mantra „Ich kann Kunst“ aufsagt, scheint der Hysterie sehr nah. Und ebenfalls unschön ist, was der Franzose Mr. Moo erlebt. Dem krachen ständig Gipsplatten auf den Schädel.

„Kopf hoch!“, möchte man den Künstlern zurufen. Ein bisschen „Positive Thinking“ gehört zur gelungenen Selbstvermarktung. Sonst landet man schnell im Geschäftsbereich von Herbert Christian Stöger. Der 36-Jährige wirbt in seinem Clip für eine Einrichtung namens „Künstlerklappe“. Dort soll man ungewollte Künstler loswerden können.

Bis 28. 4., Galerie Nord – Kunstverein Tiergarten, Turmstr. 75, Di.–Sa. 14–19 h