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Archiv-Artikel

Der Handball-Gärtner

Von GÖR

Für Fans gegnerischer Vereine ist Alfred Gislason, Trainer des Handball-Rekordmeisters THW Kiel, ein schlimmer Heißmacher. Wie der sture Isländer, der gestern 55 Jahre alt wurde, bei Spielen seines Teams an der Seitenlinie herumtanzt, ist manchmal grenzwertig: In den wichtigen Phasen einer Partie versucht Gislason mit großen Gesten die Schiedsrichter dahingehend zu beeinflussen, dass sie beim Angriff des Gegners doch bitteschön zügig auf Zeitspiel entscheiden. Fouls des Gegners überhöht er mit viel Theatralik, jene des eigenen Teams stellt er als lächerlich gering hin.

Für Fans des THW Kiel ist Gislason ein Virtuose im Erkennen von Spielsituationen. Der Ex-Nationalspieler seines Landes hat in den vergangenen Jahren bei den „Zebras“ die große Leistung vollbracht, das Einsammeln von Titeln nahtlos fortzuführen. Seit er 2008 die Nachfolge von Noka Serdarušić antrat, feierte er mit den Kielern fünf Meisterschaften, vier DHB-Pokalsiege und zweimal den Gewinn der Champions League. Gislason wurde allein in seiner Zeit beim THW vier Mal zum Trainer des Jahres in Deutschland gekürt. Zuvor war ihm dies schon einmal im Jahr 2001 gelungen, als Coach des SC Magdeburg, den er ein Jahr später zum Triumph in der Champions League führte.

Seine große Leidenschaft neben der Jagd nach Trophäen ist das Züchten von Rosen. 600 verschiedene Arten blühen im Sommer im Garten seines Hauses bei Magdeburg. Auch hier ist er äußerst akribisch: In seinem Laptop ist die exakte Lage jedes Strauchs dokumentiert. Wie auf einer Taktiktafel im Handball. „Die Rosen sind für mich eine Super-Methode, um runterzukommen“, sagte Gislason vor einiger Zeit. „Ich merke im Garten, wie die Zeit langsamer läuft. Es ist ein Genuss, hier mit einem Glas Rotwein in der Hand durchzulaufen. Diese Ruhe ist unbezahlbar.“

Spaziergänge durch seinen Rosengarten wären auch derzeit zu empfehlen. Es läuft nämlich noch gar nicht beim THW. Zum Saisonauftakt setzte es beim TBV Lemgo eine 21:27-Niederlage und am Mittwoch folgte sogar noch ein blamables 21:22 beim Abstiegskandidaten HBW Balingen-Weilstetten. Nur 4:4 Punkte standen nach vier Partien für den THW zu Buche – viel zu wenig. „Ich habe die große Hoffnung, dass um die Weihnachtszeit der eine oder andere anfängt, vernünftig zu spielen“, knurrte Gislason nach der Niederlage in Balingen. Selbst das 32:29 bei der HSG Wetzlar am Freitag wird den Ärger über den verpatzten Saisonstart kaum mildern.

Vielleicht sollte Gislason die neue Spielzeit einfach einmal mit dem Charakteristikum seiner Lieblingsblume vergleichen: keine Rose ohne Dornen!  GÖR