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Archiv-Artikel

Pershing-Richter sieht „Rufmord“

Hans-Christoph Jahr sprach einst als Richter Studenten frei, die ein Atomwaffen-Depot blockiert hatten. Das ärgerte den Staat. Darf er deswegen jetzt nicht neuer Hochschul-Rektor werden?

von ARMIN SIMON

Er war der „Pershing-Richter“. Der einzige im Land, der den Nachrüstungsbeschluss zur Stationierung von atomaren Pershing-II-Raketen in Deutschland juristisch hat prüfen lassen. Der Experten im Gerichtssaal anhörte, die über die Treffer- und Vernichtungswahrscheinlichkeit und die möglichen Einschlagorte der Atomraketen Auskunft gaben. Und der die Zustimmungserklärung der Bundesregierung unter Kohl und Genscher zur Stationierung der Massenvernichtungswaffen danach als grundgesetzwidrig, völkerrechtswidrig und Vorbereitung zum Angriffskrieg einstufte. 16 Marburger Medizinstudierenden, die ein Depot der Atomsprengköpfe in Frankfurt blockiert hatten, erkannte Hans-Christoph Jahr eine „Demonstrationspflicht“ gegen diese Unrecht zu – und sprach sie vom Vorwurf der Nötigung frei. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Die Repressionen, denen sich Jahr daraufhin ausgesetzt sah, gipfelten in einer Verurteilung wegen Rechtsbeugung: 18 Monate saß der Ex-Richter im Freigängerknast in Frankfurt-Preunheim ein, aus dem Beamtenverhältnis wurde er auf eigenen Antrag – und ehrenvoll – entlassen. „Ich hatte keinen Bock mehr“, sagt er.

Jetzt holt ihn die Vergangenheit ein. „Wenn sich das bewahrheitet“, kündigte Bildungssenator Willi Lemke (SPD) mit Blick auf die Haftstrafe Jahrs an, sei es „unvorstellbar“, dass der Jurist, den der Akademische Senat der Hochschule Bremen vor Kurzem zu deren neuen Rektor wählte, dieses Amt tatsächlich antrete. Auch die Hochschule gibt sich empört. Von einer „Überraschung“ spricht Kanzler Peter Henckel. Jahr, so impliziert er, habe in seiner Bewerbung Böses verschwiegen.

Von einer „Rufmordkampagne“, die er so nicht akzeptieren werde, spricht dagegen Jahr. Juristisch seien die Vorwürfe „Unfug“: Die Verurteilung von 1994 – unabhängig von den Umständen, unter denen sie zustande kam – sei längst verjährt, sein Führungszeugnis ohne Eintrag, er nicht mehr verpflichtet, die Verurteilung zu offenbaren. Schon seiner Einstellung als angestellter Professor an der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven vor einigen Jahren habe nichts entgegengestanden. „Die erfolgreiche Resozialisierung meiner Person lasse ich mir nicht kaputtmachen“, ärgert sich Jahr.

Bei seiner Bewerbung um das Rektorenamt, vermutet Jahr, sei er offensichtlich „zwischen zwei Fronten geraten“. Viele Mitglieder des Akademischen Senats wollten unbedingt eine Wiederwahl des amtierenden Rektors Elmar Schreiber verhindern, der sich mit einem Reformprojekt unbeliebt gemacht hatte. Andere wollten diesen halten. „Möglicherweise soll ich durch die Diskreditierung meiner Person als Rektor der Hochschule verhindert werden“, sagt Jahr.

Sollten Lemke und die Hochschule einen Amtsantritt Jahrs ablehnen, ist aller Voraussicht nach ein komplett neues Bewerbungsverfahren nötig – während dessen Schreiber weiterhin im Amt bliebe.

Ein Interesse an einer solchen Verzögerung könnte vielleicht Kanzler Henckel haben, der Mitte 2008 pensioniert wird. Eine anonyme E-Mail jedenfalls warnte Jahr schon Ende Januar: „Der Kanzler bestimmt im Wesentlichen das Geschehen, der Rektor hat wenig zu sagen.“