: Löwen mit grünen Mähnen
Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe präsentiert eine provozierende Ausstellung mit grell bunten Rekonstruktionen antiker Götter- und Herrscherskulpturen. Sie wirkt kitschig und räumt mit dem Mythos von der weiß-marmornen Antike auf
Vinzenz Brinkmann dämpft jede Hoffnung: „Es tut uns leid, aber so bunt waren die Skulpturen der griechischen Antike nun mal“, sagt der Wissenschaftler anlässlich der aktuellen Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Die Schau präsentiert 70 grell farbige Rekonstruktionen solcher Skulpturen, die seine Frau und er in den vergangenen Jahren erstellt haben. Vor drei Jahren war die Schau „Bunte Götter – Die Farbigkeit antiker Skulptur“ erstmals in der Münchner Glyptothek zu sehen; das Publikum kam massenhaft. Seither sind die grell farbigen Gips- und Kunstmarmor-Figuren und Reliefs durch verschiedene Städte Europas getourt; letzte Station war Athen.
Dass die grellen Götter allseits beliebt waren, kann man dabei nicht behaupten. „Zu bunt“, „zu kitschig“ denkt man spontan. Denn man hat sie – wie etliche Künstler und Wissenschaftler von der Renaissance bis zum 19. Jahrhundert – lieb gewonnen, die Idee von der reinweißen Skulptur der Antike, von der edleren Welt gewissermaßen, von der der Archäologe Johann Jochim Winckelmann und die klassizistischen Künstler schwärmten. Die weißen Skulpturen dienten als Relikte eines weisen Volkes, das Form noch säuberlich von Farbe unterschied und mit grellbunten Bildern nichts anfangen konnte. Und nun dies: Ein leuchtend gelb gewandeter Bogenschütze aus dem Aphaia-Tempel, eine Athene mit rotgelbem Kleid, das Sphinxe und Eber zieren, der marineblau grundierte Fries des Siphnier-Schatzhauses aus Delphi. Außerdem Pferde und Löwen mit blauen und grünen Mähnen.
Der Schock des gebildeten Westeuropäers gleicht dem anlässlich der Restaurierung der Michelangelo-Fresken in der Sixtinischen Kapelle in den Achtzigern, die plötzlich grell farbig wurden. Auch die per Restauration zutage tretende einstige Buntheit gotischer Kirchen behagte nicht jedem. Und die These von der weißen Antike lässt sich schlicht nicht halten, sagt Brinkmann. Mit Hilfe von UV-Bestrahlung und Streiflicht-Analyse hat er anhand unterschiedlicher Verwitterungsgrade der Oberfläche einstige Farbigkeit zweifelsfrei nachgewiesen.
Die Überraschung angesichts der Resultate seiner Forschungen überrascht dabei ein wenig. Denn schon Ende des 18. Jahrhunderts hatten Ausgrabungen antiker Skulpturen Farbpigmente erwiesen. Doch das 20. Jahrhundert forcierte etwa die UV-Untersuchung kaum und blieb ambivalent: Theoretisch erkannte man die Farbigkeit der Skulpturen durchaus an; vorgeführt bekommen wollte man sie aber nicht. Auch die Brinkmanns wurden vor 25 Jahren – dem Beginn ihrer Forschungen – milde belächelt. Doch jetzt scheint die Zeit reif, dem Publikum die Resultate zuzumuten: die wie touristisch-kitschig bemaltes Plastik wirkenden Kampfszenen auf dem Giebel des Aphaia-Tempels etwa. Was dort passiert, wirkt nicht mehr antik-heroisch, sondern wie ein ganz normales Abziehbild-Theater, das Voyeurismus bedienen sollte. „Die antiken Skulpturen und Reliefs wurden nicht als museale Kunst geschaffen, sondern dienten Repräsentationszwecken an öffentlichen Plätzen“, sagt Brinkmann. „Und da gab es eine starke Konkurrenz um die visuelle Aufmerksamkeit des Betrachters. Man versuchte einander durch Buntheit zu übertrumpfen – was vor allem auch aufgrund der Blickdistanz nötig war, denn die Skulpturen prangten weit oberhalb des Betrachters.“ Klingt nach einer recht modernen Werbeplakat-Psychologie, das alles – nur, dass die alten Griechen eben für ihre Herrscher und Götter warben – frei nach dem Motto: Wer über die Religion entscheidet, beherrscht das Volk.
Und steht man also zwischen den neuen, alten, bunten Göttern herum und fragt sich, wie Europa je darauf kommen konnte, dass die so turbulente griechische Götterwelt ausgerechnet in Weiß dahergekommen sein sollte. Und warum die Europäer so zäh an der Idee von der marmorweißen Antike festhielten, als wäre die Insel der Seligen zu verteidigen. Denn die Brinkmann’che Ausstellung zeigt: Auf einer irrtümlich entstandenen Sehgewohnheit basiert die Idee der weißen Antike – auffallend unhinterfragt: Warum sollen sich die Griechen farblich beschränkt haben, während die Ägypter dies keineswegs taten – nur, weil deren bunte Grabkammern so gut erhalten sind, dass derartige Zweifel gar nicht erst aufkamen?
Sicher, können Puristen einwenden, es hat während des von Alexander dem Großen geprägten Hellenismus pastelleneren Farben gegeben. Doch diese Phase währte kurz und machte bald der alten Ornamentier- und Pigmentierfreude Platz. Eine Enttäuschung für uns Nachgeborene? Vielleicht. Eventuell aber auch eine Chance, den westeuropäischen Mythos des Purismus zu hinterfragen und dahinter einen Mix aus Realitätsferne, Ideologie und Arroganz zu entdecken. PETRA SCHELLEN
Die Ausstellung „Bunte Götter – Die Farbigkeit antiker Skulputur“ ist bis 1.7. im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen