Der Wundertütenkanal

Phoenix, der öffentlich-rechtliche „Ereignis- und Dokumentationskanal“ für die informierte Elite, wird zehn Jahre alt. Unsere Autorin, selbst oft bei Phoenix zu Gast, wünscht alles Gute zum Geburtstag

VON BETTINA GAUS

Viele Journalistinnen und Journalisten haben den Fernsehsender Phoenix von Anfang an geliebt. Ich auch. Nicht, weil wir das Programm verfolgt hätten – so weit ging die Liebe denn doch nicht. Sondern weil der Bedarf an Studiogästen unersättlich schien. Das bot uns, die wir bei Zeitungen arbeiteten, eine Chance, Diskussionen und Interviews vor der Kamera zu üben. Risikolos, weil völlig unbeobachtet. Wer guckte schon Phoenix?

Eine dumme und arrogante Frage, die nur eines zeigt: wie tief auch Leute, die Quotenkampf und die Jagd auf werberelevante Zielgruppen für blöd halten, diese Kriterien als Maßstab für Erfolg verinnerlicht haben. Phoenix musste sich um die Quote nicht kümmern, und Werbung gibt es bei dem gemeinsamen Informationskanal von ARD und ZDF sowieso nicht. Und so freut man sich in der Zentrale in Bonn zwar darüber, dass die Quote von 0,2 Prozent im Jahr 1998 kontinuierlich auf 0,7 Prozent im letzten Jahr stieg – aber angewiesen ist der Sender darauf nicht. Wichtiger als die Zahlen ist den Phoenix-Verantwortlichen ohnehin etwas anderes: nämlich die Tatsache, dass ihr Publikum überdurchschnittlich gebildet, gut informiert und einflussreich ist.

Die Info-Elite, um einen abscheulichen neudeutschen Begriff zu benutzen, schaut Phoenix. Also die Leute, die von Kommunikationswissenschaftlern als „Opinion Leaders“, als Meinungsführer bezeichnet werden. Deshalb hat es der Sender in den zehn Jahren seines Bestehens seit dem 7. April 1997 geschafft, sehr viel wichtiger für die öffentliche Diskussion und Meinungsbildung zu werden, als sich das in Zahlen ausdrücken lässt.

Pressekonferenzen werden in voller Länge übertragen, auch Bundestagsdebatten und Parteitagsreden. Wer sich für ein Thema besonders interessiert, ist seither nicht mehr auf die – zwangsläufig verkürzte – Zusammenfassung und Interpretation von Journalisten angewiesen. Sondern kann sich selbst ein Bild machen. Wie groß der Wunsch danach gelegentlich ist, zeigte sich im April 2005, als Phoenix die Aussage des damaligen Außenministers Joschka Fischer vor dem Visa-Untersuchungsausschuss übertrug. Und damit bis zu sensationelle 13 Prozent Marktanteil erreichte.

Nicht immer angenehm

Für Politiker und Journalisten ist die ausführliche Berichterstattung übrigens nicht immer angenehm. So niedrig kann eine Quote gar nicht sein, dass es einem nicht doch reichlich peinlich ist, wenn man in einer Pressekonferenz durch umfassende Ahnungslosigkeit geglänzt hat und die entsprechende Frage – oder Antwort – deutschlandweit gesendet wird. Zumal jetzt, wo auch in der Bundespressekonferenz meistens eine Phoenix-Kamera mitläuft, Pannen und Fehlleistungen fast nie mehr unbemerkt bleiben. Bei Bedarf können sie wieder und wieder gesendet werden. Manche hätten es ohne Phoenix nie in die „Tagesschau“ geschafft.

Dass der Informationskanal ausführliche politische Berichterstattung sendet, hat sich herumgesprochen. Wirklich spektakulär ist aber auch die Auswahl an Dokumentationen, die – anders als in den großen Mutterhäusern – nicht nur zu nachtschlafender Zeit und unter Ausschluss der Öffentlichkeit gesendet werden. Diese Dokumentationen lassen ahnen, wie wunderbar das Programm von ARD und ZDF sein könnte, wenn der Programmauftrag ernst genommen und nicht durch einen abstrusen Wettkampf mit den Privaten ersetzt würde.

Vom Leben mit Hartz IV über Schatzsucher in Australien und einem Rentnerparadies in den USA bis zur Geschichte des Krieges in Afghanistan: Die Themenpalette ist breit. Wer zufällig hineinzappt, versteht gar nicht mehr, weshalb Dokumentationen eigentlich in den Ruf gekommen sind, trocken und langweilig zu sein. Viele sind beste Fernsehunterhaltung. Mit deutlich weniger Längen als die meisten Reality-Sendungen der Privaten.

Aktuell hineingezappt

Aber man zappt halt meist nur zufällig hinein. Da Phoenix auf aktuelle Entwicklungen reagiert, steht ein großer Teil des Programms stets erst ganz kurzfristig fest. Das gibt dem Sender gelegentlich den Charme einer Wundertüte. Könnten ARD und ZDF der kleinen Tochter nicht das Geburtstagsgeschenk machen, auf bestimmte Phoenix-Sendungen künftig regelmäßig hinzuweisen? Das wäre noch toller als die Vorschau auf Volksmusiksendungen.