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Archiv-Artikel

Kalte Wut im Korridor

Das UN-Klimagremium warnt vor schweren Verwüstungen vor allem der armen Länder des Südens. Aber deren Vertreter kommen nicht zu Wort

AUS BRÜSSEL BERNHARD PÖTTER

Aloys Rurantije könnte der Held dieser Versammlung sein. Der massige Mann mit fast kahlem Kopf sitzt in der dritten Reihe des großen Konferenzsaals im Charlemagne-Gebäude in Brüssel, Platz 15, eingeklemmt zwischen Bulgarien und Kambodscha. Aloys Rurantije stützt den Kopf in die Hände und hört zu. Von morgens früh bis abends spät. Seit fünf Tagen schon.

Dabei hätte der Direktor des Geografischen Instituts von Burundi den anderen Delegierten des IPCC einiges zu erzählen, wenn sie sich über ihre Messreihen aus Supercomputern beugen. Von den zehn Wetterstationen im Land, die er betreut, und die einmal 100 waren, ehe sie im Bürgerkrieg zerstört oder gestohlen wurden. Von seinen Daten, denen er nicht traut, weil die Geräte nicht regelmäßig abgelesen werden. Vor allem aber von seinem Land, das wegen seiner Armut so klimafreundlich ist wie kein anderes: 400 Kilo CO2 entlässt jeder der sieben Millionen Einwohner Burundis pro Jahr in die Atmosphäre – jeder Deutsche dagegen 12.700 Kilo.

Vielleicht hat das IPCC deshalb auch nur einen Delegierten aus Burundi eingeladen. Denn obwohl sich der 2. Bericht des IPCC, der hier in Brüssel debattiert wird, um „Folgen, Verwundbarkeit und Anpassung an den Klimawandel“ dreht, obwohl alle Daten klar machen, dass besonders die armen Länder des Südens besonders hart getroffen werden, treten die Vertreter dieser Staaten kaum in Erscheinung. Der große Konferenzsaal mit den europäischen Flaggen an der Kopfseite fasst 450 Personen, und er ist gut gefüllt. Doch 90 Prozent der Delegierten machen es wie Aloys Rurantije. Sie hören zu. Das Wort führt ein erweiterter UN-Sicherheitsrat: USA, China, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Kanada, Australien. Russland? Der Delegierte macht ein Nickerchen. Man lässt ihn schlafen und erspart sich so einige seiner erratischen Kommentare.

Die Verhandlungen sind auch so zäh genug. Wort für Wort segnen die Delegierten die „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“ ab. Gelingt das nicht, wird die umstrittene Passage eingeklammert und später behandelt. Aber die Zeit drängt. Die ganze letzte Nacht lang haben sich die Delegationen an Details festgebissen. Übernächtigt einigen sie sich schließlich Freitagmorgen um zehn auf das Dokument.

Beim IPCC ist man höflich. Niemand wird laut. Man sagt jedes Mal „Danke, Herr Vorsitzender“, wenn einem das Wort erteilt wird. Danach sagt der Herr Vorsitzende „Danke, China!“, auch wenn der Beitrag ihm die Zornesröte ins Gesicht treibt. Die Fußtritte werden unter dem Tisch verteilt: die USA zweifeln den Begriff „menschengemachter“ Klimawandel an. Frankreich rächt sich wenig später und schlägt eine Formulierung vor, nach der Nordamerika „schwerer wirtschaftlicher Schaden und eine grundlegende ökologische, soziale und kulturelle Verwerfung durch Hurrikane“ bevorsteht.

Die Betroffenen melden sich nicht zu Wort. Manchmal müssen sie sich sogar anhören, sie sollten nicht so zimperlich sein. Saudi-Arabien etwa drängt darauf, man solle im Kapitel „Polgebiete“ bitte auch die positiven Aspekte sehen: „Weniger Heizen, höhere Erträge beim Ackerbau und bessere Schifffahrt.“ Als die USA vorschlagen, die Zahl der Menschen, die an den Küsten bedroht sind, von „Hunderten von Millionen“ im Originaltext auf „viele“ zu verändern, platzt einem afrikanischen Autoren des Berichts der Kragen: „Oh mein Gott! Das müsst ihr auf jeden Fall verhindern!“, schärft er einem Delegierten ein.

Die Verwundbarkeiten der armen Länder werden in der Zusammenfassung in allgemeiner Sprache versteckt. Aloys Rurantije kommt nicht dazu, von der Trockenheit zu erzählen, die den Norden Burundis seit drei Jahren heimsucht. „500 Menschen sind verhungert, dann gab es im letzten Jahr so starke Regenfälle, dass unser Mais, unser Reis, unsere Süßkartoffeln und Bohnen weggeschwemmt wurden.“

Auch die Geschichten von den Marshall-Inseln im Pazifik will im Plenum keiner hören. Espen Ronneberg vom Pazifik-Umwelt-Programm SPREP fürchtet vor allem die hohen Wellen, die bei höherem Wasserstand über seine Inseln spülen: „Unsere Inseln gehen nicht unter. Aber das Salzwasser läuft in die Trinkwasserquellen und verdirbt sie.“ Für Ronneberg gibt es Gründe dafür, dass die betroffenen Länder sich nicht lautstark zu Wort melden. „Unsere Studien entsprechen nicht den internationalen Standards. Wir kommen nicht dazu, Aufsätze in renommierten Fachblättern zu veröffentlichen. Und dann braucht ein Wissenschaftler Mut, sich auf so einem Podium zu äußern.“

Und das ist für ihn vielleicht auch gar nicht ratsam, sagt Anthony Nyong, Klimawissenschaftler aus Nairobi. „Wenn hier jemand gegen die USA aufsteht, kann es doch passieren, dass er nach Hause kommt und gefeuert wird, weil seine Regierung von der US-Entwicklungshilfe abhängig ist.“ Die afrikanischen Delegierten schwanken zwischen Galgenhumor und kalter Wut. Für sie spiegelt auch das IPCC die Dominanz der Industriestaaten wider: „Jedes Land verfolgt hier seine Interessen und die armen Länder sind eben schwach. Es ist das alte Spiel zwischen Herr und Sklave, zwischen Weiß und Schwarz.“