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Archiv-Artikel

Ostern in Neukölln

Falscher Hase

Am Ostersamstag bei Reichelt in der Neuen Welt. Neukölln hamstert für den gefühlten Weltuntergang, sprich zwei einkaufsfreie Tage. In den Gängen drängen sich genervte Leute, an den Kassen warten lange Schlangen, und mitten in all dem Trubel steht als flauschiger Fels in der Brandung ein riesiger Osterhase.

Gemütlich sieht er aus mit seinen gedrungenen zwei Zentnern. Aus einem Korb verteilt er kleine runde Trüffel an die Kunden. Ich nehme an, was am Ende übrig bleibt, wird er selbst essen – so war es im vorigen Jahr, so wird es im nächsten Jahr sein, und in diesem ist es bestimmt nicht anders.

An jeden verteilt der Hase nur eine Kugel. Er fragt, ob hellbraun, dunkelbraun oder weiß, und reicht sie mit einer Zange an den Interessenten weiter. Dazwischen hat er noch Zeit, nach Hasenart zu spaßen: „Eigentlich bin ich ja eine Häsin“, scherzt der Festnager, „aber das kann man ja so gar nicht sehen – ich könnte genauso gut ein Rammler sein.“ Sofort ist Stimmung in der Bude. Das Stichwort „Rammler“ löst besonders viele Höhös bei Herren mit besonders vielen Bierflaschen im Einkaufswagen aus.

Ich aber rätsele, was sie damit wohl meint, dass man „das so gar nicht sehen kann“, bis ich unter einem künstlichen Hasenmaul mit Hasenzähnen endlich das Gesicht der mir bekannten Verkäuferin erkenne. Sie steckt offenbar in einem Kostüm. Verstehend schmunzle ich vor mich hin: Manche Menschen sind nun mal im falschen Körper gefangen. Wo dann das Geld für die OP fehlt, muss es eben auch mal eine Verkleidung tun.

Ein kleiner Junge spricht die Mümmeltranse an: Er brauche noch jeweils eine Trüffel für seine Eltern – die seien irgendwo dahinten. Kriminelle Karrieren beginnen oft unspektakulär.

ULI HANNEMANN