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: HELMUT HÖGE über Hauptstadträtsel

„Der kleine Konsument in den modernen Megapolen muss sich wie eine Ratte im Schilf bewegen, um zu überleben“ (Michel de Certeau)

Wir saßen beim „7. Tibeter“ in der Gneisenaustraße und aßen Pelmenis, die dort aber einen tibetischen Namen haben. Wladimir Kaminer wollte wissen, warum das Restaurant der „7. Tibeter“ heißt. Der 1. Tibeter ist eine Meditationsübung, die den Energiefluss zu einigen Organen anregt, meinte ich, der 2. stärkt die Rücken- und Bauchmuskulatur, der 3. bezieht sich auf das Herz, der 4. auf sexuelle Energien, der 5. schafft eine Brücke zwischen Keim- und Zirbeldrüse und beim 6. Tibeter geht es noch einmal um die sexuelle Energie. Einen 7. Tibeter gibt es nicht. Vielleicht ist das der Witz des Lokals, mutmaßte ich.

Wladimir Kaminer fragte daraufhin den Koch: „Der 7. Tibeter, das bin ich,“ erklärte der uns, „das heißt der 7. Mensch aus Tibet, der hier in Berlin eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen hat. Vor mir waren es nur sechs. Es gab zwar noch einen 7., er war lange hier, aber damals wurde sein Asylantrag abgelehnt. Er kam dann ein Jahr später unter einem anderen Namen wieder und blieb. Er war dann aber der 12. Und ich bin der 7.!“

Das war also geklärt und damit war schon wieder ein urbanes Rätsel gelöst. Leider zu spät, um noch in Wladimirs neuen Berlin-Führer aufgenommen zu werden. Es blieben aber noch einige „Einladungen“ zu besprechen. Zunächst die rätselhafteste: Eine easyCredit-Shop-Eröffnung im neuen „Schloss-Straßen-Center“ in Steglitz. Die einladende Berliner Volksbank erklärte dazu: „Dieses Fachgeschäft für Ratenkredite konzentriert sich als reines Markengeschäft ausschließlich auf Produkte der easyCredit-Familie. Diese konsequente Positionierung als Fachgeschäft, die eine hochspezialisierte Beratung mit Überschuldungsprävention in den Vordergrund stellt, hat es bislang in Deutschland noch nicht gegeben.“

Stimmt, ich kannte bisher nur das „easyCredit-Stadion“ in Nürnberg, wo sich während der Reichsparteitage immer die Hitler-Jugend sportlich gemessen hatte – es war zunächst in „Frankenstadion“ umbenannt worden. Die easyCredit-Shops gehören zur Norisbank und diese einst zu Quelle. Heute ist Noris eine Tochter der Deutschen Bank. Sollten wir nun zur Shop-Eröffnung nach Steglitz oder nicht – es war ein sogenannter Fototermin. Nein, beschied Wladimir Kaminer, der ganz im Gegensatz zu seinem Vater nicht fotografiert.

Hier ist noch ein Termin der Berliner Volksbank, erwiderte ich: Sie ist jetzt „das erste nationale Unternehmen der Finanzbranche, das individuell gestaltete EC-Karten herausbringt“. Es handelte sich dabei um eine Release-Party für ihre „Hauptstadt Zoo BankCard“. Den Anfang machen dabei motivmäßig „Deutschlands Lieblingsbaby Knut“ und das „Spitzmaulnashorn Zawadi“. Beide standen für den Fototermin bereit. Auch diese Einladung schlug Wladimir, dem alle Bärengeschichten mittlerweile zum Hals raushängen, aus.

Wie wär’s denn mit der „1. Berliner Hausmeisterkonferenz“, die am 9. Mai im Ullstein-Haus stattfindet? In der Pressemitteilung heißt es: „Initiiert wurde sie von Berlin Recycling, dem engagierten Entsorgungsunternehmen, das mit seinen lustigen orange-weiß-karierten Wagen durch unsere Stadt fährt und für Sauberkeit sorgt.“ Mit von der Partie sind: die Wasserbetriebe, Vattenfall, Gasag etc. Es gibt eine Modenschau „Arbeitskleidung für Hausmeister“, der „Hausmeister des Jahres“ wird gewählt, es gibt ein Seminar über „Die Seele des Hauses“ mit dem Titel „Der Hausmeister als Prellbock“ und und und. Die Veranstaltung heißt „Glückliche Mieter, zufriedene Eigentümer“ – und Letztere sollen auch alle ihre Hausmeister zu der Konferenz schicken, die von der ebenso blonden wie „sympathischen Katrin Güttler“ moderiert werden wird.

„Is das nichts?“, fragte ich Wladimir. Der schüttelte den Kopf: „Das ist mehr was für dich.“ Sodann kamen wir noch mal auf das Wort „Überschuldungsprävention“ zurück: Kann man damit bei den Berlinern überhaupt noch was rausholen? In den USA gehen gerade einige große Konsumkreditbanken mit explizit lascher „Prävention“ selbst an „Überschuldung“ zugrunde. Wir sahen jedenfalls sowohl für den „easyCredit-Shop“ als auch für die „Hauptstadt Zoo BankCard“ schwarz, eigentlich auch für die Hausmeisterkonferenz: Die werden da doch nicht organisiert – sondern nur desorganisiert, höchstens amüsiert!