piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Weitsicht des Bohemien

Als das Lachen nichts mehr geholfen hat: Antoni Grafs Sobańskis „Nachrichten aus Berlin“, Reportagen der 30er-Jahre

Antoni Graf Sobański, ein schwuler Bohemien aus Warschau, wird von den Literarischen Nachrichten, einer polnischen Wochenzeitung, in den Jahren 1933, 1934 und 1936 nach Berlin geschickt, um über die Veränderungen im Deutschen Reich nach der „Machtergreifung“ Hitlers zu schreiben. Die Polen sind beunruhigt, Reportagen sollen nun helfen, nähere Auskünfte über die Deutschen zu bekommen. Kaum jemand wäre da ein besserer Berichterstatter als Sobański, der in den Metropolen Europas zu Hause ist, neben fünf weiteren Sprachen auch das Deutsche fließend beherrscht und verhältnismäßig unvoreingenommen an die Sache herangeht, mit dem Blick des Schnösels, immer ein wenig von oben herab.

Seine Reportagen, soeben erstmals unter dem Titel „Nachrichten aus Berlin“ auf Deutsch erschienen, helfen noch einmal, all jene zu beschämen, deren Großeltern damals mittaten, und später „von allem“ nichts gewusst haben wollen. Sobański weiß schon 1933 viel, wenngleich er es nicht glauben will, 1936 schließlich weiß er „von allem“. Dabei flaniert er scheinbar nur durch die Stadt, trifft alte Bekannte und pflegt sogar Liebschaften. Doch obschon sich auch Angehörige der SA unter seinen Gesprächspartnern befinden, ist er unbeirrbar.

1934 schreibt er: „Statistik hin, Statistik her, die Zahl der Arbeitslosen ist tatsächlich deutlich gesunken. Man braucht sich nur in die Viertel zu begeben, in denen diese Unglücklichen konzentriert waren, um sich davon zu überzeugen, dass es dort Frauen gibt, die wieder jeden Morgen auf den Markt gehen. Doch wie gelang dieser Beschäftigungsanstieg? Leider mittels akrobatischer Kunststücke. Zwar kann man in Deutschland sehen, dass der Etatismus seine guten Seiten hat, aber eigentlich sollte es doch darum gehen, dass seine Maßnahmen die Gewähr für Nachhaltigkeit bieten. Einem Landwirt einen oder zwei ‚außerplanmäßige‘ Knechte aufzuzwingen – womöglich auch noch Städter – scheint eine höchst artifizielle Methode zu sein, die selbst dann nichts Gutes zum harmonischen Wirtschaften beitragen kann, wenn man sich viel kompliziertere und gut gemeinte Dinge ausdenkt, um die bittere Pille zu versüßen.“

Sobański meidet nichts. 1933 beobachtet er die Bücherverbrennung, „ich trauere um das Volk, das diese Schande auf sich lud“. Zugleich aber erkennt er die Lächerlichkeit der Aktion. Zu Goebbels berühmter Rede bemerkt er: „Keine Redeparodie könnte diesen demagogischen Ton wiedergeben. Bei mir ruft das Original schon Lachen hervor.“ Und schließlich erzählt er, dass „die Studenten auf den Lastwagen während des Umzuges eifrig nach pikanten Werken suchten und für sich zur Seite legten. Das beweist immerhin, dass auch unter Hitler die Jugend menschlich geblieben ist.“

Diesen Eindruck wird er später revidieren müssen. Er weiß zu berichten, dass sich die Nationalsozialisten schamlos an dem Eigentum jener bereichern, denen sie unrechtmäßige Bereicherung vorwarfen. Auch wenn Sobański durchaus gewillt ist, „die Juden“ als Rasse zu begreifen, so fehlt es ihm nicht an Zivilisiertheit, um die Attacken, denen Juden sich ausgesetzt sehen, zu verurteilen.

Gerade für das Jahr 1933 eröffnen Sobańskis „Nachrichten aus Berlin“ neue Erkenntnisse, da sich in diesem Jahr schon für wenige Monaten ekstatisch entlud, was spätestens ab 1936 Alltag im Nazireich war. 1933 hatte Sobański noch die Hoffnung, dass der Spuk bald vorbei sein möge; 1936 sieht man ihn nur noch resigniert – er muss seine geliebten Deutschen aufgeben, von dem hochverehrten Kulturvolk ist nichts mehr übrig.

JÖRG SUNDERMEIER

Antoni Graf Sobański: „Nachrichten aus Berlin“. Parthas Verlag, Berlin 2007, 252 Seiten