: Die Tochter des Windes
Auf der Mittelmeerinsel Pantelleria wachsen zuckersüße Weintrauben, aber auch seltsame Zementgerippe. Der Modemacher Giorgio Armani war in den Siebzigerjahren einer der Ersten, die das Inselparadies entdeckt haben. Ein Inselstreifzug
VON MICHAELA NAMUTH
Antonio Pilati lebt auf einer kleinen Insel, irgendwo im Mittelmeer zwischen Sizilien und Afrika. Die Insel heißt Pantelleria, ihre Oberfläche beträgt gerademal 83 Quadratkilometer. Drumherum gibt es unendlich viel Wasser und unendlich viel Fische. Doch der 73-jährige Antonio hat in seinem ganzen Leben noch keinen Fisch gefangen. Er und die anderen Inselbewohner haben es nicht nötig, sich solch einer ermüdenden und wenig lukrativen Tätigkeit zu widmen. Ihre Insel hat sie immer ernährt. Auf der fruchtbaren Erde der mediterranen Vulkaninsel gedeihen die zuckersüßen Trauben der Zibibbo-Rebe, die zu Wein oder Rosinen verarbeitet werden, Feigen, Oliven, Linsen, Kapern und fast alles, was man so zum Leben braucht. Der Name Pantelleria bedeutet auf Griechisch so viel wie „Erde mit reichhaltigem Angebot“.
Noch heute ist die Landwirtschaft eine wichtige Einnahmequelle. Doch viele der 9.000 Insulaner haben längst einen besseren Job. Wie der alte Antonio vermieten sie die traditionellen Steinhäuser der Insel, die dammusi, an Touristen.
Dieser Mix aus mediterranem Inselklima, kristallklarem Meer und entspannter Abgeschiedenheit hat aus Pantelleria ein Ferienmekka für Naturliebhaber gemacht. Die meisten Touristen sind Italiener. Vor allem im Frühjahr und Herbst wandern aber auch deutsche und amerikanische Touristen beherzt auf den Küstenserpentinen – der einzigen Autostraße auf der Insel. Sie kommen zumeist in Hotels unter. Heute bietet die Insel neben den relativ teuren dammusi auch andere Unterkünfte.
Viele Jahre lang war Pantelleria bevorzugtes Terrain der Superreichen. Der Modemacher Giorgio Armani war in den Siebzigerjahren einer der Ersten, die das Inselparadies entdeckt haben. Ihm folgten andere illustre Gestalten wie Dolce & Gabbana, Madonna und Gérard Depardieu. Doch Milliardär-Discos wie an der sardischen Costa Smeralda findet man hier nicht, noch nicht mal einen trendigen Schickeria-Treff. Die VIPs leben ganz unter sich in abgeschlossenen Anlagen aus luxuriös ausgestatteten dammusi. Zum Schwimmen fahren sie mit der Jacht aufs Meer oder verstecken sich an einem der einsamen Felsenstrände. Man muss niemand über den Weg laufen, wenn man nicht will. Das ist der Luxus, den Pantelleria bietet.
So wie die Insel von den Reichen geliebt wird, wird sie von den Armen gemieden. Während an den Küsten der nahe gelegenen Insel Lampedusa jährlich tausende von nordafrikanischen Einwanderern auf abgetakelten Schiffen stranden, verirren sich nur wenige Boote mit Immigranten nach Pantelleria. Sie landen in der Regel in dem kleinen Hafen von Skauri und werden dann sofort weiter in ein Auffanglager in die sizilianische Provinzhauptstadt Trapani transportiert. Die Insel liegt nicht auf der Route der Menschenschlepper, deren Umschlagsplatz in der Regel Libyen ist. Von dort aus liegen Lampedusa und Malta näher.
In den Zeiten der Seefahrer und Eroberer war Pantelleria allerdings ein belebter Verkehrsknotenpunkt. Alle antiken Kulturvölker haben ihren Fuß auf die Insel gesetzt. Erst kamen die Phönizier, dann die Römer, die Byzantiner und schließlich die Araber. Vor allem Letztere haben der Landwirtschaft und der Kultur der Insel entscheidende Impulse gegeben. Sie haben als Erste Baumwolle, Oliven, Feigen und die Zibibbo-Traube angebaut. Zur kulinarischen Tradition der Insel gehört bis heute das maghrebinische Couscous mit Fisch und Gemüse. Viele Dörfer tragen arabische Namen wie Khamma, Gadir oder Bukkaram. Auch die für Pantelleria charakteristischen kuppelförmigen Dächer der alten Wohnhäuser, die dammusi, entspringen einem orientalischen Baukonzept.
„Das Kuppeldach schützt einerseits die Räume vor der Hitze, andererseits sammelt sich an seinem Boden wertvolles Regenwasser, das über Leitungen ins Haus gelangt“, erklärt Marco Fragonara. Er war früher Journalist und Uni-Dozent in Mailand. Vor ein paar Jahren hat er sich selbst ein dammuso gekauft, und jetzt führt er neugierige Neuankömmlinge über die Insel. Kaum ein anderer kennt so viele Geschichten über Pantelleria wie der Norditaliener.
Besonders mag er Geschichten über den Wein. Er erzählt, dass bereits die alten Römer einen süßen Wein herstellten, der Passito hieß – wie der berühmte Desertwein der Insel heute noch. In den Traubentrunk wurden aber auch Feigen und Honig gemischt. „Das muss ein scheußliches Gesöff gewesen sein“, ekelt sich Fragonara. Aber auch mit der aktuellen Situation des Weinanbaus ist er nicht zufrieden. Dieser ist in den vergangenen 50 Jahren bedrohlich zurückgegangen. Mit den Trauben ist es so ähnlich wie mit den Fischen. Vielen panteschi scheuen heute die Mühe, Weinreben auf der windigen Insel hochzuziehen. Die Fläche der Weinanbaugebiete ist deshalb seit 1950 von 5.000 auf wenige 1.000 Quadratmeter geschrumpft.
Jetzt gibt es aber neue Winzer von außerhalb, die dem Passito di Pantelleria zu einer Renaissance verhelfen wollen. Zu diesen gehört die Familie Rallo, die seit Ende der Achtzigerjahre die Qualitätsweine der Marke Donnafugata herstellt. Die Rallos, deren Hauptanbaugebiet im sizilianischen Valle di Belice liegt, haben sich auf Pantelleria nach und nach Felder zusammengekauft. Doch diese sind terrassenförmig angelegt und schwer zugänglich. Die Ernte ist deshalb aufwendig, und am Ende liegen die Herstellerkosten für ein Kilo Trauben bei zwei Euro. „So teure Trauben kann man auf dem Markt nicht verkaufen. Man kann nur guten Wein aus ihnen machen“, so Giacomo Rallo, Oberhaupt der Winzerfamilie. Sein Passito hat schon etliche internationale Preise gewonnen. Der Name des edlen Tropfens prägt sich ein. Er heißt Ben Ryé, Sohn des Windes. Tochter des Windes hingegen nannten einst die Araber das Eiland im Mittelmeer.
Der Winzer Giacomo Rallo hat sich in die Insel verliebt. Manche Dinge ärgern ihn aber. Sein Unternehmen nutzt seit vielen Jahren Sonnenenergie. Auf Pantelleria aber, wo die Sonne fast immer heiß brennt, sind die Sonnenkollektoren ab einer bestimmten Höhe verboten. Sie würden die Landschaft stören, so die Begründung. Sie sind deshalb nur in Bodenhöhe erlaubt. Dort tummeln sich aber tausende von Insel-Kaninchen, die auf Kabelsalat ganz versessen sind. Der Unternehmer ärgert sich auch, dass die Inselbewohner mit Staatssubventionen überschüttet werden. „Das tötet jede Eigeninitiative“, sagt er.
Damit hat er wohl recht. Die panteschi waren aber noch nie besonders aktiv. Seit ihnen Mussolini Straßen und einen Flughafen gebaut hat, hat sich auf der Insel in Sachen Infrastruktur nicht mehr viel getan. Das hat aber auch die gute Seite, dass Naturschätze wie ein glitzernd grüner Schwefelsee und üppig bewachsene Vulkanhügel, bislang gänzlich unberührt geblieben sind.
Seit ein, zwei Jahren wachsen an einigen Orten aber seltsame Zementgerippe aus der Erde. Vielleicht sollen aus ihnen einmal Ferienunterkünfte werden. Das kann aber niemand mit Sicherheit sagen. Wahrscheinlich sind sie ein Denkmal der Berlusconi-Regierung. Diese hatte das Bebauen von Stränden und naturgeschützten Gebieten legalisiert. Das Resultat: In den letzten Jahren wurde an den schönsten Plätzen Italiens hektisch Zement aufgehäuft. Die neue Regierung hat das Gesetz nun gestoppt. In vielen Fällen ist die Rechtslage derzeit unklar. Die Bauruinen bleiben aber vorerst stehen, auch auf der Insel. Die panteschi haben keine Eile. Irgendwann wird schon einmal jemand eine Entscheidung fällen. Auf Pantelleria wechseln die Herrscher seit 3.000 Jahren so schnell wie die Windrichtung. Das macht das Leben unberechenbar und fördert vor allem eine Eigenschaft: die Geduld.