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Archiv-Artikel

Der Gipfel und die Militanz

Die Gewaltfrage führt, eine linke Tradition, auch in der Protestbewegung gegen den G-8-Gipfel zu Streit: Wie „entschlossen“ sollen die Aktionen sein?

Die „herrschende Gewaltdefinition“ dürfe den Aktionsspielraum nicht beschneiden Es müsse abgewogen werden, ob die Aktionen vermittelbar seien, sagt ein linker Aktivist

VON FELIX LEE

Eigentlich könnte alles bestens sein. An diesem Wochenende treffen sich etwa 500 Vertreter von Nichtregierungsorganisationen – Kirchen, Umweltverbände, Globalisierungskritiker, Autonome – in Rostock. Sie besprechen die letzten Details der großen Proteste gegen den G-8-Gipfel Anfang Juni in Heiligendamm. Und es sieht gut aus: Die Pläne für Demonstrationen, Blockaden und den Gegenkongress stehen. In seltener Eintracht haben die unterschiedlichen linken Spektren alte Fehden beendet und einen gemeinsamen Protestfahrplan aufgestellt. Doch ein klitzekleiner Makel überschattet die Bewegung: Die ewige Gewaltfrage.

Seit Wochen wird in Internetforen über militante Aktionsformen gestritten. Im Zentrum der Kritik: die Globalisierungskritiker von Attac. Führende Vertreter hatten Aktionen wie Brandanschläge im Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel als schädlich für den Mobilisierungsprozess bezeichnet und sich von Gewalt distanziert.

Die Empörung in der radikalen Linken ist groß. Von „vorauseilendem Gehorsam“ schreibt die Antifaschistische Linke Berlin in einem offenen Brief. Organisationen wie Attac müssten selbst nur zu gut wissen, „dass sie ohne die militanten Auseinandersetzungen anlässlich der Gipfel der vergangenen Jahre in Seattle, Prag, Göteborg und Genua nicht in ihrer jetzigen Form existieren würden, geschweige denn die mediale Aufmerksamkeit bekommen hätten, in der sie sich so gerne sonnen“.

68 Prozent der weltweiten Militär-Ausgaben entfielen auf die G-8-Staaten, heißt es weiter. „Wer Gewaltfreiheit einfordern will, soll sie dort einfordern, wo die Gewalt ihren Ursprung nimmt: Bei den Verantwortlichen der G-8-Staaten und ihrem Polizei- und Militärapparat.“

Dieser Kritik schließt sich die Gruppe „NoLager“ aus Bremen an. Der Gewaltbegriff zeichne sich dadurch aus, dass er extrem breit angelegt sei. Wer propagiere, dass von ihm keine Gewalt ausgehe, laufe stets Gefahr, „von der herrschenden Gewaltdefinition in die Ecke gedrängt und in seinem Aktionsspielraum massiv beschnitten zu werden“. Selbst harmlose Gesetzesüberschreitungen wie Farbbeutelwürfe würden mit massenhaftem Einsatz von Pflastersteinen gleichgesetzt. Dies habe Kalkül, heißt es weiter in ihrem Schreiben. Der Zwang zur Distanzierung falle umso umfassender aus, je diffuser der Gewaltbegriff ist. In dem Brief plädiert die Bremer Gruppe dafür, pauschale Distanzierungen von Gewalt grundsätzlich zu unterlassen und stattdessen selbst zu präzisieren, wie weit man gehen möchte.

Die Debatte um Militanz und Gewalt ist in der außerparlamentarischen Linken keineswegs neu. Die RAF hatte es einfach: Für sie war Gewalt kein Problem, sie anzuwenden war Konsens. Anders vor den Zäunen Brokdorfs, bei den Friedensdemonstrationen in Mutlangen Anfang der 80er-Jahre oder bei den Castor-Transporten ins Wendland ein Jahrzehnt später – die Gewaltfrage hat schon zu manchem innerlinken Zerwürfnis geführt. Vielleicht ist genau das der Grund, warum die linken Reflexe bei der Gewaltfrage besonders heftig zucken: Es ist die Angst, die Bewegung in „gute“ und „schlechte“ Aktivisten zu spalten und auf diese Weise systematisch zu schwächen.

Denn in der Tat wissen die Strategen im Bundeskriminalamt um den wunden Punkt und betreiben mit Gewaltstatistiken gezielt Politik. Die Entscheidung, mit der Zahl der Brandanschläge Anfang März und damit ausgerechnet in der Hochphase der Mobilisierung an die Öffentlichkeit zu gehen, war ganz sicher kein Zufall.

Anschläge, die allein auf Sachbeschädigungen aus waren, hatte es in den vergangenen Jahren zu unterschiedlichen Anlässen immer wieder gegeben. Bisher waren die Sicherheitsbehörden trotz mehrfacher Anfragen stets darum bemüht, die Aktionen kleinzureden. Nun werden sie in einem Atemzug mit Terrorismus genannt.

Dass das Kalkül des Bundeskriminalamts aufgeht, ist jedoch eher unwahrscheinlich. „Wenn man die Aktionen konkret bespricht und die Gewaltfrage nicht ideologisch aufbauscht, sind sich die Beteiligten sehr oft einig“, bestätigt Attac-Sprecher Pedram Shahyar. Sein taz-Interview zum Thema hatte die Debatte vor einem Monat noch einmal in Schwung gebracht.

Dass eine Latschdemo allein – und sei sie zahlenmäßig noch so beeindruckend – während des G-8-Gipfels nur bedingt beachtet würde, können die meisten Bewegungsaktivisten unterschreiben, die schon einmal auf einem Gipfelprotest waren. Auch der Reflex der Medien, erst dann zu berichten, wenn die Demonstranten mit ihren Pappschildern nicht nur über leere Wiesen laufen, sondern auch mal am Sicherheitszaun rütteln, ist den Aktivisten bekannt.

Umgekehrt wissen radikale Vertreter der linken Szene, dass Massenmilitanz nicht zum Selbstzweck verkommen darf. Es müsse immer abgewogen werden, ob die anschließende Repressionswelle in einem sinnvollen Verhältnis zur erzielten Wirkung der Aktion stehe und ob die Aktionen vermittelbar seien, sagt ein Aktivist der linken Szene in Berlin, der namentlich nicht erwähnt werden möchte.

Längst haben sich die Protestgruppen auf Aktionen geeinigt, in denen sich alle wiederfinden können: Im Rahmen der Kampagne „Block G 8“ wird am Tag, an dem die Staatschefs in Heiligendamm anreisen, zu „massenhaften Blockaden“ mit „Mitteln des zivilen Ungehorsams“ aufgerufen.

Bei Aktionen dieser Art übertreten die Demonstranten gezielt Gesetze und nehmen gemeinsam die rechtlichen Konsequenzen in Kauf. An Entschlossenheit – was der Militanzbegriff ja auch ausdrückt – fehlt es bei dieser Aktionsform nicht. Zugleich wissen sie es geschickt zu vermeiden, von der Gegenseite als „Gewalttäter“ oder gar als „Chaoten“ diffamiert zu werden.

Die Protestgeschichte lehrt: Es wäre nicht das erste Mal, dass diese Strategie aufgeht.