: Risse in der Schminke
OBERFLÄCHE Die Sammlung Falckenberg in Hamburg-Harburg zeigt die erste Ausstellung der Popart-Künstlerin Marilyn Minter in Deutschland. In Amerika ist sie mit ihrer Glamour-Kritik längst ein Star
Die knallroten Kusslippen und strahlend weißen Zähne haben Übergröße: Aus der Nähe betrachtet wirken die anderthalb bis zweieinhalb Meter großen Fotos und Metallbilder von Marilyn Minter fast bedrohlich. „In Amerika ist sie ein Star, in Europa noch ein Geheimtipp“, sagt Kurator Dirk Luckow über die New Yorker Künstlerin.
Als erstes Haus in Deutschland zeigt die Sammlung Falckenberg in den Phoenix Fabrikhallen in Hamburg-Harburg fast 50 großformatige Werke von Minter, die meisten aus den vergangenen 20 Jahren. Auf den ersten Blick wirken die hyperrealistischen, farbigen Detailaufnahmen geschminkter, lackierter und akribisch inszenierter Münder, Augen, Zehen von Frauen wie Modestrecken aus Hochglanzmagazinen.
Doch die schillernden Aufnahmen von perlenbesetzten Stöckelschuhen und anderen Accessoires verführen nur kurz. Der Glamour verwandelt sich nach und nach in einen Alptraum, und die polierte Oberfläche kippt ins Gegenteil. Schwitzende Models erbrechen Perlencolliers, ihnen wachsen pinkfarbene Kaugummigeschwulste in makellosen Gesichtern, umherschwirrende Kügelchen in geöffneten Mündern kündigen eine Überdosis an.
Marilyn Minter bewegt sich in ihrem Werk zwischen der glatten Modewelt, schwülstiger Pornografie, tradierten Geschlechterrollen und deprimierenden Abstürzen. Wer hinter die perfekt drapierten Fassaden schaut, entdeckt Brüche, Zerrissenheit, Abgründe.
Dass sich das Leben häufig unberechenbar zwischen Schein und Sein abspielt, lernte Marilyn Minter, 1948 in Louisiana geboren und Typ gediegene Hausfrau, bereits in ihrer Jugend. Das erste Fotomodel der Studentin war Ende der 1960er Jahre Marilyns Mutter. Eine drogenkranke Diva, die herausgeputzt und rauchend im Bett posiert wie ein Hollywood-Star. Einige dieser frühen Schwarzweißbilder sind ebenfalls zu sehen.
In den prüden USA erlebte die Fotografin, Malerin und Videokünstlerin erst 2005 ihren Durchbruch. Davor wurden ihre vielschichtigen Arbeiten als pornografisch und politisch unkorrekt kritisiert. Heute zählen zu ihren Fans Pamela Anderson, die auch in einer 2007er Werkserie zu sehen ist, sowie Madonna. Die Pop-Königin benutze das Marilyn-Minter-Video „Green Pink Caviar“ als Hintergrund für den Song „Candy Shop“.
Das Leben liefert Marilyn Minter nach wie vor die Motive. In ihrem New Yorker Atelier stellen zehn Assistenten die Bilder fertig, die die Chefin meist direkt aus der Pop-Art-Fabrik an die Kunden verkauft.THOMAS JOERDENS
Bis 12. Juni, Sammlung Falckenberg, Phoenix Fabrikhallen, Hamburg-Harburg