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Archiv-Artikel

Und wenn die Punks pinkeln?

Am Wochenende tagte die Anti-G-8-Aktionskonferenz: die Mühsal der Harmonie und das Scheitern beim Einbinden der Bevölkerung in die Proteste

AUS ROSTOCK NIKOLAI FICHTNER

Vielleicht ist die Sache mit dem Banner das eindrucksvollste Zeichen der neuen Einigkeit. Kaum einer hatte kurz vor Beginn des ersten Plenums bemerkt, wie der Kletterer am Hallendach die Befestigung des quadratmetergroßen Greenpeace-Posters löste und es auf den Boden krachen ließ. Was den Kletterer störte: Das gelbe Banner mit der Aufschrift „G 8 Act Now!“ ruft die Regierungschefs zum Handeln für mehr Klimaschutz auf – und das könnte man ja auch als indirekte Legitimierung der G 8 verstehen.

Normalerweise hätte es jetzt eine große Aussprache geben müssen. Man würde womöglich einen Moderator wählen, und mit etwas Glück und viel Geduld würde man einen Kompromiss finden. Zum Beispiel, dass man fremde Poster nur nach vorheriger Abstimmung abhängen darf.

Doch in Rostock ist alles ganz anders. Die 400 Teilnehmer der Anti-G-8-Aktionskonferenz hatten sich für Samstag fest vorgenommen, ganz lieb zueinander zu sein. Und so wird die Sache mit dem Banner gekonnt ignoriert. Die Frage, ob man konkrete Forderungen stellen darf oder die Legitimation der G 8 lieber gleich ganz abstreiten sollte, wird später ordnungsgemäß und unter Ausschluss der Presse in der dafür vorgesehenen Arbeitsgruppe behandelt.

Einer, der maßgeblich für die neue Harmonie gesorgt hat, ist Christoph Kleine. Er vertritt die „Interventionistische Linke“, ein Netzwerk linksradikaler Gruppen, das für Bündnisfähigkeit steht. Kleine strahlt so viel Ruhe und Gemütlichkeit aus, dass es tatsächlich schwer fallen muss, in seiner Gegenwart zu streiten. Eben hat er noch das Morgenplenum in der Turnhalle moderiert, jetzt macht er sich auf in die ehemalige Ehm-Welk-Schule, das abrissreife Hauptquartier der Protestler und Tagungsort der Aktionskonferenz. Er will dafür sorgen, dass, wie er sagt, „Zottel und Bürokraten sich über die Nutzung des Schulgebäudes einigen“. Das mit dem fallenden Banner findet Kleine „Kinderkacke“. Dabei steht er selbst auf der Seite der Radikalen, findet, dass die Forderungen nach mehr Klimaschutz „am Problem vorbeigehen“. Kleine hat es sich zur Aufgabe gemacht, die alten Gräben zwischen radikalen und gemäßigten Linken zu überwinden: „Wir sind dazu verurteilt, zusammenzuarbeiten.“

Die Angst, dass Angela Merkel mit ihrer Klimapolitik den G-8-Gipfel zur Merkel-Show machen könnte, schwebt über diesem Treffen. „Vor sechs Jahren in Genua wurden die G 8 noch als böse wahrgenommen“, sagt einer, „jetzt gelten sie auf einmal als diejenigen, die sich um den Klimawandel kümmern.“

„Alles Worthülsen“, sagt Karsten Smid von Greenpeace, wenn er auf Merkels Klimapolitik angesprochen wird. Aber anders als andere Teilnehmer interessieren ihn auch die Worte dazu. Am Wochenende lief ein erster Entwurf der Abschlusserklärung des G-8-Gipfels über die Nachrichtenagenturen. Smid findet gut, dass sich jetzt wohl auch die G 8 dazu bekennen wollen, die Zunahme der Erderwärmung auf 2 Grad zu begrenzen. Aber diese Schwammigkeit in Absatz 6 entfacht Leidenschaft: „50 Prozent weniger Emissionen bis 2050 im Vergleich zu 1990. Und das global!“ Smid schüttelt den Kopf. „Da wird die Verantwortung der Industriestaaten gar nicht deutlich“, sagt er. Er fordert konkrete Maßnahmen: „Was läuft bis 2020? Was gilt für die G 8? Was tut Deutschland?“ Um das Klima zu retten, würde Smid sogar mit den G 8 reden.

Am Nachmittag diskutiert er in einem ehemaligen Klassenraum zwischen Isomatten und Schlafsäcken darüber, wie die Protestbewegung sich das Klimathema wieder aneignen kann. Man spricht englisch. Die internationalen Umweltschützer bleiben unter sich.

Größer ist der Andrang bei der Gruppe, die zur gleichen Zeit ein Blockadetraining anbietet. Geprobt wird nicht nur für die Straßenblockaden zum G-8-Gipfel, sondern auch für eine Pressevorführung am nächsten Tag. Selbst dort treffen Protestkulturen aufeinander. Frauke Banse, die das Blockadetraining leitet, nennt das „unterschiedliche Aktionstraditionen“. Auch sie beschwört die neue Einigkeit: „Es geht nicht um Sitzen oder Stehen.“ Aber ein Thema ist das doch. Man einigt sich darauf, dass die einen sitzend blockieren und die anderen stehend und sich beide Gruppen vorher darüber absprechen.

Wenn das erste Ziel der Aktionskonferenz war, sich bloß nicht zu spalten, dann war das Wochenende ein Erfolg für die Protestbewegung. Beim zweiten Ziel jedoch sind sie grandios gescheitert. Denn eigentlich wollten sie ja die Rostocker Bevölkerung mobilisieren und einbinden. Die Veranstalter hatten „ein Zeichen der Öffnung für die lokale Bevölkerung“ angekündigt und extra dafür zwei Podiumsdiskussionen in der Rostocker Nikolaikirche organisiert.

Doch die Rostocker haben nicht reagiert. Und so geraten die Abende in der Nikolaikirche zur unfreiwilligen Selbstbeschäftigung der Bewegung. Unter den knapp mehr als 100 Menschen, die sich auf dreimal so viele Stühle verteilen, befinden sich geschätzte fünf Vertreter der „lokalen Bevölkerung“. Weil die anwesenden Journalisten natürlich trotzdem wissen wollen, was die Rostocker denn von den Protestlern halten, muss eine einzige Rostocker Dame fast das gesamte Interview-Pensum abarbeiten: Fernsehen, Radio, Zeitung. Die Dame ist motiviert und will mitmachen – „wo das doch direkt hier vor Ort ist“.

Fragt man Rostocker außerhalb der Kirche, sind die irgendetwas zwischen skeptisch und teilnahmslos, was die G-8-Protestler angeht. Richtig gut findet sie kaum einer, aber immerhin seien sie ja bis jetzt noch ganz friedlich. Bei den Info-Veranstaltungen der Polizei überwiegen die praktischen Fragen: Was tun, wenn Punks in den Vorgarten pinkeln?

Hautnah dabei sind die Bewohner von Rostock-Evershagen. Wenn sie auf die Straßenbahn warten, blicken sie direkt auf die ehemalige Schule – ein Protestraumschiff inmitten von Plattenbauten. An die Fenster zur Haltestelle haben die Schulbewohner ihre Botschaften gemalt, es sind autonome Duftmarken. Im Juni sollen hier die Fäden eines breiten Protests zusammenlaufen. Vielleicht hängen sie dann das gelbe Greenpeace-Banner wieder auf.