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Archiv-Artikel

Liebling der Massen ist immer noch Putin

Dass der Kreml so heftig auf ein paar tausend Demonstranten reagiert, liegt an seiner inneren Führungskrise

Von KHD
Der Kreml bauscht die Opposition auf, um Freiheiten einschränken zu können

MOSKAU taz ■ In Russland hat die Staatsmacht brutal zugeschlagen. Dabei hat nur eine kleine Minderheit von ihrem Recht Gebrauch gemacht, Kritik an der Politik des Kreml zu äußern und dagegen zu demonstrieren. Die Angst vor der marginalen Oppositionsbewegung ist jedoch unbegründet – Präsident Wladimir Putin ist nach wie vor der beliebteste Politiker des Landes.

Die Überreaktion der Staatsmacht rührt daher, dass die Zentrale der Macht jegliche Verbindung zu den Bürgern abgebrochen hat. Der Kreml ist Opfer seiner eigenen Propaganda geworden, in deren Zentrum der Westen als antirussische Kraft steht. Seit der orangen Revolution 2004 in der Ukraine sieht Moskau zudem überall subversive Kräfte am Werk. Der Kreml bauscht die Opposition auf, um weitere Freiheiten einschränken zu können.

Diejenigen, die den Protest gewagt haben, gehören dem „Anderen Russland“ an, einer Dachorganisation, in der sich unterschiedlichste Gruppen vereinigt haben. Das ideologische Spektrum umfasst auch linksnationalistische und antikapitalistische Kräfte. Das Andere Russland gibt sich nicht der Illusion hin, politische Verantwortung übernehmen zu können, gemeinsames Ziel ist die Wahrung demokratischer Grundrechte. Westlichen Vorstellungen einer demokratischen Opposition kommt Garri Kasparows Vereinigte Bürgerfront (VB) am nächsten. Dem Zweckbündnis gehören – wie der Nationalbolschewistischen Partei NBP um den Kultschriftsteller Eduard Limonow – meist junge Leute an.

Auch der ehemalige Premierminister Michail Kasjanow verfügt nicht über das Charisma einer Führungsfigur. Der Technokrat ist alles andere als ein Liebling der Massen. Gleichwohl könnte er den politischen Stimmungswandel innerhalb eines Segments der oppositionellen Elite einleiten. Kasjanows Versuch, eine Führungsrolle zu übernehmen, schlug genauso fehl wie der, einen organisatorischen Rahmen zu etablieren. Im Volk haftet dem früheren Regierungschef die Aura des Krisengewinnlers an, der sich in den 90ern am Ausverkauf der Staatsbetriebe bereichert hat. Veränderungen gehen in Russland wohl immer noch von Verwerfungen im Kreml aus. Dann, wenn niemand damit rechnet. KHD