: „Hier wird Scheiße als Schokolade verkauft“
Der Wirtschaftssoziologe Bernd Röttger fordert eine radikale Abkehr von der alten Gewerkschaftspolitik
BERND RÖTTGER, 46, ist Dozent am Lehrstuhl für Arbeits,- Industrie- und Wirtschaftssoziologie der Universität Jena. Vorher war er Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Arbeit, Bildung und Partizipation (FIAB) der Ruhruni Bochum
taz: Herr Röttger, Opel streicht Stellen, die Telekom lagert aus und kürzt die Löhne. Werden dadurch die Arbeitsplätze langfristig gesichert?
Bernd Röttger: Wohl kaum. Was wir derzeit erleben ist symptomatisch für die Beziehung zwischen Kapital und Arbeit. Unter der Vorgabe vermeintlicher Marktzwänge werden Stellen abgebaut,und die Reallöhne gekürzt. Wir haben es mit einem Angriff auf die flächendeckenden Tarifverträge zu tun. Anfangs waren es kleinere Betriebe, jetzt stehen die industriellen Hochburgen wie ehemalige Staatskonzerne und die Autoindustrie im Zentrum. Es ist die Aufkündigung des Klassenkompromisses.
Haben die Gewerkschaften die Möglichkeit, dem entgegen zu steuern?
Die Gewerkschaften befinden sich aktuell in der Defensive. Es herrscht ein Klima der Angst, das durch eine erpresserische Globalisierung erzeugt wird. Die Hülle wird nach außen gewahrt, in Wirklichkeit erleben wir einen permanenten interessenpolitischen Rückschritt. Opel bietet den Beschäftigten im Tausch für eine Arbeitsplatzgarantie bis 2010 weniger Lohn an. Die Gewerkschaften feiern dies als Erfolg. Hier wird Scheiße als Schokolade verkauft. Kompromisse haben auch in der Vergangenheit selten dazu geführt, langfristig Arbeitsplätze zu sichern.
Welchen Einfluss hat die Lohnpolitik auf die Binnennachfrage?
Gewerkschaften dürfen nicht die besseren Manager sein. In der Lohnpolitik ein Gleichgewicht zwischen den Tarifpartnern zu fordern, um die Binnenkonjunktur anzukurbeln, ist absurd. Die gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Modelle der 50er und 60er Jahre sind auf die aktuellen Entwicklungen nicht mehr anzuwenden. Die Spielräume hierfür sind nicht mehr vorhanden. Spätestens wenn die Konjunktur abflaut, schlägt das Pendel zurück. So wurden auch 20 Jahre Lohnverzicht begründet. Die Schere driftet immer weiter auseinander.
Was sind die Alternativen?
Die Gewerkschaften müssen sich neu aufstellen. In dem sich zwar globalisierenden, dennoch aber ökonomistisch begrenzten Horizont des Einzelbetriebs müssen lokale Bündnisse entstehen. Das Potenzial ist da. Auch bei Opel. Als eine politische Kraft werden die Gewerkschaften aber nur als widerständige Organisationen überleben.
INTERVIEW HOLGER PAULER