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Archiv-Artikel

Das Monster von Ürzig

RIESLING Warum ein Brückenkoloss nicht nur das Moseltal bedroht, sondern auch den ganz besonderen Wein dort

Das zeichnet ein gutes Gewächs aus der Mosel-Steillage aus

■  Körper: Da die Weine oft nicht durchgegoren sind, haben sie meist weniger Alkohol als „trockene“ Weine und eine dezente Natursüße. Diese bildet mit der Säure das berühmte „Spiel“. Ein Qualitätsmerkmal ist die „reife“ Säure – auch wenn der Säuregehalt hoch ist, schmeckt der Wein nicht sauer.

■  Spiel: Sein Geschmack wird nicht von einem dropsigen Süßsauer-Geschmack bestimmt, wie man es von Billigweinen kennt. Süße und Säure treffen so aufeinander, dass geschmackliche Spannung und Intensität entsteht.

■  Jugend: Besonders tritt das Süße-Säure-Spiel bei jungen Moselweinen auf, hier sind die geschmacklichen Reize am stärksten ausgeprägt.

■  Alter: Je länger der Wein reift, desto vielschichtiger und „ruhiger“ wird sein Geschmacksbild. Süße und Säure werden mit der Zeit abgebaut, der Wein schmeckt „trockener“, je älter er wird.

VON TILL EHRLICH

An der Mittelmosel gab es in der Osterwoche noch Hoffnung. Die Frühjahrssonne schien so grell auf die schwindelerregenden Steillagen zwischen Bernkastel und Ürzig, dass die Augen schmerzten. Die steinigen Schieferhänge wirkten nicht mehr ganz so grau, die Reben hatten gerade mit dem Austrieb begonnen, zart zeigten sich erste grüne Blätter in den dunklen Weinbergen im engen Tal.

Damals gab es noch Hoffnung bei den Winzern, dass in letzter Minute der Bau des Hochmoselübergangs zwischen den Weindörfern Ürzig und Rachtig von den Grünen gestoppt werden würde. Ein Technokratenprojekt aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, das viele hier nur noch „das Monster“ nennen. Der Widerstand gegen das Monster vereint kleine Winzer ebenso wie Bio- und Spitzenwinzer. Ihre Sorge richtet sich nicht gegen einen Brückenbau schlechthin; an der Mosel gibt es zahlreiche Brücken, die zum Leben im engen Tal dazugehören. Der Protest richtet sich gegen ein anachronistisches Projekt, das die Natur und Landschaft der Mittelmosel auf Generationen zerstören wird. Das Problem ist nicht allein die monumentale Brücke, sondern der Zubringer: Eine etwa neun Kilometer lange Trasse wird durch das Naturschutzgebiet Moselsporn gebaut und dann das Tal an einer seiner breitesten und schönsten Stelle in 158 Meter Höhe und auf 1,7 Kilometer Länge queren.

Der Moselsporn ist ein Bergrücken, dessen Hänge mit bis zu 70 Prozent Neigung ins Tal fallen. Hier liegen einige der besten Weinbergslagen überhaupt wie die Zeltinger Sonnenuhr, die Wehlener Sonnenuhr, der Graacher Domprobst oder der Bernkasteler Doctor. Die Winzer dort sind alarmiert. Sie fürchten, dass die Hänge rutschen werden – und besonders, dass der Wasserhaushalt dieses Ökosystems zerstört wird. Das wäre das Aus für ihren Weinbau.

In diesen Steillagen lohnt sich Massenweinbau nicht, die Winzer können kaum Technik einsetzen. Wer hier gute Trauben ernten will, ist dazu verdammt, nachhaltig und qualitätsbewusst zu wirtschaften. Die schweißtreibende Arbeit mit den Rebpflanzen ist alles andere als romantisch; sie bedeutet Muskelkraft, Handarbeit und Fleiß. Winzer wie die 32-jährige Katharina Prüm, die ihr Familienweingut Weingut Joh. Jos. Prüm in Wehlen in der vierten Generation leitet, sorgen nicht nur für Beschäftigung im Moseltal, sie keltern in den bedrohten Steillagen besondere Rieslingweine, die zum Spannendsten gehören, was es an Weißwein gibt. Katharina Prüm engagiert sich seit Jahren gegen das Bauprojekt. In der Osterwoche zeigte sie in ihrem Weingut den neuen Jahrgang 2010.

Es sind keine gefälligen Gewächse, sie haben Biss, ja einen gewissen Widerstand. Diese vitalen Rieslinge sind Lichtjahre vom Mittelmaß entfernt. Ihre geschmackliche Struktur basiert nicht auf einem simplen Süße-Säure-Spiel, wie man es von billigen Moselweinen kennt und auch nicht auf vordergründigem Alkohol, wie man es von schweren und weicheren Weinen aus Gegenden mit kürzerer Vegetationsperiode kennt. Vielmehr beruht die Struktur dieser Gewächse auf einer vielschichtigen, druckvollen Intensität und einem differenzierten Aromenspiel, die sich im Laufe der Zeit entwickeln und verändern.

Für die Zeit der Koalitionsverhandlungen in Rheinland-Pfalz hatte die regierende SPD ein Vergabestopp für den Bau erlassen. Die Grünen waren die letzte Karte der Projektgegner an der Mittelmosel. Ob SPD, FDP oder CDU, alle Parteien befürworten den Bau. Gerade nach dem Debakel dieser Parteien in Baden-Württemberg wundert man sich, wie lange sie noch den Wählerwillen ignorieren wollen, der einen Paradigmenwechsel einfordert: aufgeklärteres, ökologischeres Land, das sich endlich auf Augenhöhe mit der Politik befindet. Von dieser Situation profitierten bisher die Grünen. Sie haben die Welle geschickt geritten. Jahrzehntelang waren die kleinen Winzerorte im Moseltal Stammland der CDU. Doch bei der letzten Landtagswahl haben die Grünen in den betroffenen Gemeinden bis zu zwanzig Prozent der Stimmen geholt. In der kleinen Weinbaugemeinde Graach holten sie die meisten Erst- und Zweitstimmen.

Die Gewächse sind empfindlich, sie erfordern Geduld und Zuwendung

In Graach sorgt sich der 34-jährige Winzer Christoph Schaefer vom Weingut Willi Schaefer um den Hang, befürchtet das Versiegen von unterirdischen Wasseradern, ohne die die Reben in der Sommerhitze eingehen. Seine Familie betreibt hier seit Generationen Weinbau, bewirtschaftet seit Jahrhunderten die Steillagen Graacher Domprobst und Himmelreich. Schaefers Gewächse sind etwas Besonderes, haben einen radikalen Zug, wirken feinnervig und entschieden zugleich. Auch Christoph Schaefer hat auf die Grünen gehofft.

Aber jetzt ist seine Hoffnung dahin. Der Bau soll laut rot-grünen Koalitionsvereinbarungen unter der neuen Landesregierung vollendet werden. Die zynische Pointe des Projekts ist, dass es ausgerechnet jene Winzer bestraft, die den zukunftsorientierten, nachhaltigen Weinbau betreiben, der die Umwelt und gewachsene Kulturlandschaft der Mittelmosel erhält.

Das Moseltal ist spätestens seit der Industrialisierung ein Anachronismus geworden. Hier hat sich durch den Weinbau eine sehr alte, intakte Kulturlandschaft weitgehend erhalten können. Der nachhaltig und ökologisch orientierte Weinbau bringt Weine hervor, die zu fairen Preisen vermarktet werden können. Das erlaubt den Winzern so zu wirtschaften, dass hier auch künftige Generationen statt Raubbau nachhaltigen Weinbau betreiben können.

Die Mosel ist seit der Romantik der Inbegriff einer deutschen Flusslandschaft, die Maler William Turner und Gustave Courbet haben den fremden Blick auf die Mosel romantisch geprägt. Bis heute sehen Engländer mehr in der Mosel als Deutsche. Moselweine werden in England mehr geschätzt als hierzulande. Die Unterstützung britischer Medien und prominenter Weinkenner wie Hugh Johnson gegen das Hochmoselbrücken-Projekt ist besonders stark.

Das Bild von der Mosel ist mit der Schifffahrt verknüpft – etwa 200 Flusskilometer Weinbau, wenig Industrie. In dieser Vorstellung ist die Mosel weitgehend von Verkehr, Beschleunigung und Betonierung verschont geblieben. Doch ausgerechnet jetzt, wo alle wieder entschleunigen wollen, wurde das Projekt des Hochmoselübergangs reanimiert – als Investitionsprogramm mit der Ideologie vergangener Jahrzehnte. Finanziert aus dem Konjunkturprogramm des Bundes. Das Projekt wurde immer wieder verschoben – seit mehr als dreißig Jahren leisten Bürgerinitiativen Widerstand. Der Nutzen für Infrastruktur und Verkehr ist umstritten, wirtschaftlich kann der Hunsrück nicht durch die neue Schnellstraße belebt werden.

Wer hier gute Trauben ernten will, ist dazu verdammt, nachhaltig zu wirtschaften

Und die Politiker ignorieren das. Sogar Julia Klöckner, die Landesvorsitzende der rheinland-pfälzischen CDU, die aus einer Winzerfamilie stammt und Mitte der Neunzigerjahre deutsche Weinkönigin war, befürwortet das als Infrastrukturprojekt getarnte Betonmonster. Von Lobbyisten der Betonindustrie und des Straßenbaus animierte Politiker werden wie Marionetten ins Spiel gebracht und wagen es, eine Tragikomödie aufzuführen, als ob die Notwendigkeit einer auf nachhaltiger und intelligenter Ökologie basierenden Ökonomie ausgeblendet werden könne.

Nun sind sogar die Grünen in den Koalitionsverhandlungen auf diesen Kurs eingeschwenkt. Für Kurt Beck, SPD, soll das Projekt Hochmoselbrücke in den Koalitionsverhandlungen nicht verhandelbar gewesen sein. Es heißt, dass dies die Grundlage der Koalitionsverhandlung gewesen sei. Beck ist in der Sache kurzsichtig. Dass er die mit etwa 40 Millionen Euro Baukosten veranschlagte, noch nicht planfestgestellte Mittelrheintalbrücke opfert, damit die mit mehr als 300 Million Euro bezifferte Hochmoselbrücke gebaut werden kann, beweist, dass es nicht um Infrastruktur geht, sondern um Geldversenken. Die Entscheidung zeigt, dass die jetzige Generation der Grünen keine kulturpolitische Radikalität mehr hat. Sie sind in der Mitte angekommen – und selbst mittelmäßig geworden. Monumentalbauten wie das „Monster“ gehören zum totalitären Denken und zementieren Ewigkeitsfantasien.

Eine ganz andere Welt sind die Gewächse, die in den bedrohten Steillagen entstehen. Sie sind empfindlich, erfordern Zeit, Geduld und menschliche Zuwendung. Sie sind nicht für den schnellen Konsum gedacht, sondern können Jahrzehntelang in der Flasche reifen. So ein Gewächs mit Verstand zu genießen, bedeutet auch, ein Abenteuer mit der Zeit einzugehen.